Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
seinem zuhause.«
Felurian hob den Kiesel hoch und schloss ein Auge. Dann legte sie den Kopf schräg, als wollte sie die Krümmung des Steins in die leeren Arme der Mondsichel über uns einpassen. »und da kam es zum bruch. die alten namensweisen begriffen, dass sie die gestalter nicht mit worten aufhalten konnten.« Felurian ließ die Hand wieder ins Wasser fallen. »mit dem diebstahl des mondes kam der krieg.«
»Wer war der Dieb?«, fragte ich.
Felurian lächelte kaum merklich. »wer? wer? wer?«, äffte sie mich nach.
»Gehörte er einem Feenhof an?«, soufflierte ich sanft.
Felurian schüttelte belustigt den Kopf. »nein. wie gesagt, das alles geschah noch vor den fae. er war der erste und größte der gestalter.«
»Wie hieß er?«
Felurian schüttelte den Kopf. »hier werden keine namen genannt. ich werde nicht von ihm sprechen, obwohl er hinter den steinernen türen eingesperrt ist.«
Bevor ich eine neue Frage stellen konnte, nahm Felurian meine Hand und legte sie um den Kiesel, so dass wir ihn nun wieder beide hielten. »er, der gestalter mit den augen schwarz und drohend, er hob die hand zum himmel auf und zog am mond. doch blieb der mond auf sein geheiß nicht stehen und wandert zwischen uns und euch seitdem.«
Sie sah mich tiefernst an, wie sie es nur selten tat. »wer was getan, das weißt du jetzt, doch bleibt noch ein geheimnis bis zuletzt. hör mir gut zu, damit du nichts vergisst.« Sie hob unsere verschränkten Hände aus dem Wasser. »jetzt kommt der teil, der für dich wichtig ist.«
Ihre Augen glänzten schwarz im Dämmerlicht. »der mond, er hat’s uns beiden angetan, wir hängen beide an ihm dran wie eltern, die nach ihrem kinde fassen, weil keiner will’s dem anderen lassen.«
Sie trat zurück, und wir standen wieder so weit auseinander, wie wir konnten, ohne den Kiesel loszulassen, den wir gemeinsam hielten. »ist er zerrissen und bei euch nur halb zu sehen, merkst du daran, wie weit wir auseinander stehen.« Sie streckte die freie Hand nach mir aus und tat so, als versuche sie vergeblich, mich zu berühren. »so sehr wir uns zum kusse lehnen, der raum ist noch zu weit für unser sehnen.«
Sie trat wieder vor mich und drückte den Kiesel an meine Brust. »doch füllt sich euer mond am himmel droben, so fühlen die feen sich zu euch hingezogen, und ein besuch zur nacht ist leichter jetzt gemacht, als durch ein offenes tor zu schreiten oder von einem schiff im hafen an land zu gleiten.« Sie lächelte mich an. »so hast du, unterwegs im wald, gefunden mich, die feengestalt.«
Bei der Vorstellung, der zunehmende Mond könnte Scharen von Feenwesen anlocken, lief mir ein Schauer über den Rücken. »Und dieses gilt für alle Feen?«
Felurian zuckte die Achseln und nickte. »wenn sie es wollen und sich drauf verstehen. es sind wohl tausend angelehnte türen, die hier von meiner welt in deine führen.«
»Wie konnte ich das übersehen? Ich kann es wirklich nicht verstehen. Ich müsste es doch eigentlich wissen, wenn Feen bei uns tanzen und die Männer küssen …«
Felurian lachte. »jetzt weißt du es. die welt ist groß und alt, doch du hast mich trotzdem gehört im wald, bevor du mich gesehen hast, im mondschein sitzend wie zur rast.«
Ich runzelte die Stirn. »Doch sah ich nie die vielen Spuren der Feen, die wechselten die Fluren.«
Felurian zuckte mit den Schultern. »die meisten fae sind klug und listig auch, sie treten lautlos auf wie rauch. sie gehen des öfteren unerkannt, wie esel beladen mit allerlei tand oder in kleidern von fürstlicher pracht.« Sie bedachte mich mit einem offenen Blick. »wir nehmen uns schon gut in acht.«
Sie fasste wieder meine Hand. »viele mit dunkleren gefühlen würden gern grausam mit euch spielen. was hindert sie an ihrem spaß? eisen, feuer und spiegelglas, ulme und esche und kupferne messer, bauersfrauen, die es wissen besser, die die regeln kennen, die in unseremspiele walten, und uns brote geben, um uns fernzuhalten. doch am meisten fürchten wir den verlust unserer macht, wenn wir setzen in mondbeschienener nacht den fuß in die sterbliche welt.«
»Die nicht lohnt der Mühe, zusammengezählt«, folgerte ich lächelnd.
Doch Felurian legte mir einen Finger auf den Mund. »du lachst, wenn der mond steht in voller pracht, doch gib auf die dunkle hälfte acht.« Sie drehte sich bis auf Armeslänge von mir weg und zog mich in einer Spirale langsam durch das Wasser zu sich hin. »der kluge mensch ist von furcht erfüllt, wenn der süße
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