Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
Edelsteinen.
    »Die roten passen für meinen Geschmack nicht dazu«, bemerkte eine Stimme sachlich. Sie kam aus dem Baum.
    Ich trat einen Schritt zurück und versuchte durchs dichte Laub der Baumkrone zu spähen.
    »Was für Manieren«, schalt die sachliche Stimme. »Willst du dich nicht vorstellen? Mich nur anstarren?«
    »Ich bitte um Verzeihung«, sagte ich höflich. »Aber ich habe noch nie mit einem Baum gesprochen und bin daher etwas ratlos.«
    »Das merkt man. Ich bin kein Baum, genauso wenig wie ein Mensch ein Stuhl ist. Ich bin der Cthaeh. Du hattest großes Glück, mich zu finden. Viele würden dich darum beneiden.«
    »Worum?« Ich versuchte zu erkennen, wer da auf den Ästen des Baumes saß und mit mir sprach. Ein Märchen fiel mir ein, auf das ich während meiner Nachforschungen über die Chandrian gestoßen war. »Du bist ein Orakel«, sagte ich.
    »Orakel, wie putzig. Aber komm mir nicht mit solchen Etiketten. Ich bin Cthaeh. Ich bin. Ich sehe. Ich weiß.« Zwei blau-schwarz schillernde Flügel flatterten getrennt an der Stelle, an der eben noch ein Schmetterling gewesen war. »Manchmal spreche ich auch.«
    »Ich dachte, du könntest die
roten
Schmetterlinge nicht leiden.«
    »Von denen sind keine mehr übrig«, erwiderte die Stimme gleichgültig. »Und die blauen sind nur wenig besser.« Wieder sah ich eine Bewegung, und ein weiteres Paar saphirblauer Flügel schwebte kreiselndzu Boden. »Du bist Felurians neuer kleiner Mann, nicht wahr?« Ich zögerte, doch die sachliche Stimme fuhr fort, als hätte ich geantwortet. »Dachte ich mir schon. Du riechst nach Eisen. Nur ganz schwach, aber man muss sich doch fragen, wie sie es aushält.«
    Eine Pause entstand. Dann ein Flattern. Ein Dutzend Blätter bewegten sich sacht, und wieder schwebten zwei Flügel zu Boden. »Komm schon«, fuhr die Stimme fort. Sie kam jetzt aus einem anderen Teil des Baums, doch war der Sprecher immer noch hinter dem herunterhängenden Laub verborgen. »Ein neugieriger Junge wie du hat doch bestimmt Fragen. Also los, stelle sie. Dein Schweigen kränkt mich sehr.«
    Ich zögerte und sagte dann: »Ich habe schon die eine oder andere Frage.«
    »Ahaaa«, tönte es langgezogen und zufrieden aus den Blättern. »Wusste ich es doch.«
    »Was kannst du mir über die Amyr sagen?«
    »Kyxxs«,
kam ein gereiztes Geräusch. »Was soll das? Warum so ängstlich und hinten herum? Frage mich nach den Chandrian und fertig.«
    Ich schwieg entgeistert.
    »Überrascht? Aber warum denn? Meine Güte, Junge, du liegst wie ein klarer Teich vor mir. Ich sehe drei Meter durch dich hindurch, obwohl du nicht mal einen tief bist.« Wieder ein Flattern, und zwei Flügelpaare segelten zu Boden, eins blau, eins violett.
    Ich meinte in der Krone eine wellenförmige Bewegung zu erkennen, war mir aber nicht sicher, weil der Baum sich unaufhörlich im Wind wiegte. »Warum den Violetten?«, fragte ich, nur um etwas zu sagen.
    »Aus Bosheit«, antwortete der Cthaeh. »Ich habe ihn um seine Unschuld und Sorglosigkeit beneidet. Außerdem kann ich zu viel Anmut nicht ertragen. Genauso wenig wie vorsätzliche Dummheit.« Eine Pause entstand. »Du willst mich doch nach den Chandrian fragen?«
    Ich konnte nur nicken.
    »Da gibt es nicht viel zu sagen«, bemerkte der Cthaeh ein wenig obenhin. »Aber du solltest sie lieber ›die Sieben‹ nennen. ›Chandrian‹ klingt nach all den Jahren doch zu sehr nach Folklore. Früher bedeutetenbeide Namen dasselbe, aber wenn man heute von den Chandrian spricht, denken die Leute an alle möglichen Ungeheuer, Schrate und Gnomen. Wie albern.«
    Es folgte eine lange Pause. Ich stand nur stumm da, bis ich merkte, dass das unsichtbare Geschöpf auf eine Antwort wartete. »Erzähl mir mehr über sie«, sagte ich. Meine Stimme klang schrecklich dünn.
    »Warum?« Es klang ein wenig neckisch, wie ich mir einbildete.
    »Weil ich es wissen muss«, sagte ich, bemüht, meiner Stimme einen festeren Klang zu geben.
    »Muss?«, fragte der Cthaeh kritisch. »Woher auf einmal dieses dringende Bedürfnis? Die Herren von der Universität kennen wahrscheinlich die Antworten, nach denen du suchst. Aber sie würden sie dir nicht geben, selbst wenn du sie fragtest, was du nicht tun wirst. Denn dazu bist du zu stolz. Du bist zu schlau, als dass du sie um Hilfe bitten würdest, und zu sehr auf deinen Ruf bedacht.«
    Ich wollte etwas erwidern, aber aus meinem Hals kam nur ein trockenes Röcheln. Ich schluckte und versuchte es noch einmal. »Aber ich muss es

Weitere Kostenlose Bücher