Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Cthaeh schien es als Antwort zu verstehen. »Das stimmt, du brauchst dir nicht von mir beschreiben zu lassen, wie er aussieht. Schließlich hast du ihn erst vor ein paar Tagen gesehen.«
Die Erkenntnis traf mich mit voller Wucht. Der Anführer der Banditen, der Mann im Kettenhemd mit den geschmeidigen Bewegungen. Cinder. Er hatte damals, als ich noch ein Kind war, zu mir gesprochen. Der Mann mit dem furchtbaren Lächeln und dem Schwert wie winterliches Eis.
»Zu schade, dass er entkommen konnte«, fuhr der Cthaeh fort. »Aber du musst zugeben, du hast ziemliches Glück gehabt. Eine solche Gelegenheit, ihm zu begegnen, bekommt man nur zweimal im Leben, würde ich sagen. Schade, dass du sie nicht genützt hast. Aber mach dir keine Vorwürfe, dass du ihn nicht erkannt hast. Diese Leute haben viel Erfahrung im Verbergen verräterischer Kennzeichen. Dafür kannst du überhaupt nichts. Es ist ja schon lange her. Jahre. Und du warst sehr beschäftigt damit, dich einzuschmeicheln undmit einer Fee herumzuturteln und deine niederen Gelüste zu befriedigen.«
Gleich drei grüne Schmetterlinge zerfielen mit einem letzten Zucken. Ihre zu Boden trudelnden Flügel sahen aus wie Blätter.
»Da wir schon von Gelüsten sprechen: was deine Denna wohl dazu sagen würde? Auwei! Denk doch, wenn sie dich hier sehen könnte. Dich und die Fee, wenn ihr es wie die Karnickel miteinander treibt. Er schlägt sie, musst du wissen. Also ihr Schirmherr. Nicht immer, aber oft. Manchmal im Zorn, aber meist zum Zeitvertreib. Wie weit kann er gehen, bis sie schreit? Bis sie ihn verlassen will und er sie zurücklocken muss? Er macht nichts Ausgefallenes, wohlgemerkt, jedenfalls noch nicht. Keine Verbrennungen, nichts, das eine Narbe hinterlassen würde.
Vor zwei Tagen hat er seinen Spazierstock eingesetzt. Das war neu. Daumendicke Striemen unter den Kleidern und Blutergüsse bis auf die Knochen. Zitternd liegt sie auf dem Boden, den Mund voll Blut. Und weiß du, woran sie denkt, bevor sie ohnmächtig wird? An dich. Sie denkt an dich. Du hast wahrscheinlich auch an sie gedacht. Zwischen dem Schwimmen, dem Erdbeerenessen und deinen anderen Beschäftigungen.«
Der Cthaeh machte ein Geräusch, das wie ein Seufzer klang. »Armes Mädchen, sie hängt an ihm fest. Glaubt, dass sie zu nichts anderem taugt. Sie würde ihn auch nicht verlassen, wenn du sie darum bitten würdest. Was du nicht tun würdest, vorsichtig, wie du bist, aus Furcht, sie zu vertreiben. Mit gutem Grund natürlich. Sie läuft gerne weg. Jetzt ist sie aus Severen fort. Wie sollst du sie da finden?
Es ist wirklich eine Schande, dass du sie ohne ein Wort verlassen hast. Sie fing gerade an, dir zu vertrauen. Vor deinem Wutanfall. Bevor du wie die anderen Männer in ihrem Leben weggelaufen bist. Wie alle Männer. Zuerst ganz gierig auf sie und voller süßer Worte und dann einfach weg. Und sie wieder allein. Gut, dass sie es inzwischen gewöhnt ist, sonst hättest du sie womöglich verletzt. Sonst hättest du ihr am Ende sogar das Herz gebrochen.«
Das war zuviel für mich. Ich wandte mich ab und rannte wie besessen den Weg zurück, den ich gekommen war. Zurück zu Felurians stiller dämmriger Lichtung. Fort, fort, fort
Beim Laufen hörte ich den Cthaeh hinter mir sprechen. Seine trockene, ruhige Stimme folgte mir länger, als ich es für möglich gehalten hätte. »Komm wieder, ich bin noch nicht fertig. Ich muss dir noch viel erzählen. So bleibe doch.«
Erst Stunden später traf ich auf Felurians Lichtung ein. Ich weiß nicht, wie ich den Weg gefunden habe. Nur daran erinnere ich mich noch, dass ich überrascht war, als plötzlich ihre Laube zwischen den Bäumen auftauchte. Der Aufruhr in meinem Kopf beruhigte sich ein wenig und ich konnte endlich wieder denken.
Ich ging zum Teich, trank lange und spritzte mir Wasser ins Gesicht, um einen klaren Kopf zu bekommen und die Spuren meiner Tränen abzuwaschen. Dann überlegte ich kurz, stand auf und ging zur Laube. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Schmetterlinge verschwunden waren. Sonst flatterten immer eine Handvoll über die Lichtung, jetzt sah ich hingegen keinen einzigen.
Felurian war da, aber ihr Anblick weckte meine Unruhe aufs Neue. Es war das einzige Mal, dass mir ihre Schönheit nicht vollkommen schien. Erschöpft lag sie auf den Kissen ausgestreckt, als sei ich Tage weggewesen, nicht Stunden, und als hätte sie die ganze Zeit über keinen Bissen zu sich genommen und kein Auge zugetan.
Als sie mich hörte, hob sie müde
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