Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Chronisten abzuwenden, legte Bast seine blutige Handfläche auf den Tisch. Das Holz ächzte, und die zerbrochenen Leisten schnappten krachend wieder ineinander. Bast hob die Hand und schlug noch einmal auf die Tischplatte, und die dunklen Rinnsale aus Tinte und Bier zuckten und verwandelten sich in eine pechschwarze Krähe, die sich zum Flug erhob und eine Runde durch den Schankraum drehte. Bast fing den Vogel mit beiden Händen, riss ihn scheinbar achtlos entzwei und warf die beiden Hälften in die Luft empor, wo sie in blutrote Flammen aufgingen.
Das alles geschah so schnell wie ein Atemzug. »Alles, was Ihr über die Fae wisst, passt in einen Fingerhut«, sagte Bast in sachlichem Tonfall und sah den Chronisten ausdruckslos an. »Wie könnt Ihr es wagen, an meinen Worten zu zweifeln? Ihr habt doch überhaupt keine Ahnung, wer ich bin.«
Der Chronist saß reglos da, wandte den Blick aber nicht ab.
»Ich schwöre es bei meiner Zunge und meinen Zähnen«, sagte Bast mit Entschiedenheit. »Ich schwöre es bei den steinernen Türen. Ich sage es euch dreitausend Mal: Weder in meiner noch in Eurer Welt gibt es etwas Gefährlicheres als den Cthaeh.«
»Das ist gar nicht nötig, Bast«, sagte Kvothe in sanftem Ton. »Ich glaube dir auch so.«
Bast sah zu Kvothe hinüber und sank jämmerlich auf seinem Stuhl zusammen. »Ich wünschte, du tätest es nicht, Reshi.«
Kvothe lächelte schief. »Wenn jemand also dem Cthaeh begegnet ist, sind alle Entscheidungen, die er anschließend trifft, per se falsch.«
Bast schüttelte den Kopf, sein Gesicht blass und abgespannt. »Nicht falsch, Reshi – katastrophal. Iax hat mit dem Cthaeh gesprochen, bevor er den Mond stahl, und das hat dann den ganzen Schöpfungskrieg ausgelöst. Lanre sprach mit dem Cthaeh, bevor er den Verrat von Myr Tariniel beging. Die Erschaffung der Namenlosen. Die Scaendyne. Das alles lässt sich auf den Cthaeh zurückführen.«
Kvothe blickte ausdruckslos. »Das versetzt mich in interessante Gesellschaft, nicht wahr?«, bemerkte er trocken.
»Mehr als das, Reshi«, sagte Bast. »Wenn bei unseren Theaterstücken der Baum des Cthaeh im Hintergrund zu sehen ist, weiß man, dass es sich um eine schlimme Tragödie handelt. Das macht man, um das Publikum einzustimmen. Dann wissen sie, dass das Stück ein schreckliches Ende nehmen wird.«
Kvothe sah Bast lange an. »Ach, Bast«, sagte er leise zu seinem Schüler, und sein Lächeln war liebevoll und traurig. »Ich weiß doch, was für eine Geschichte ich hier erzähle. Und eine Komödie ist es nicht.«
Bast erwiderte seinen Blick mit leeren, hoffnungslosen Augen. »Aber Reshi …« Sein Mund bewegte sich weiter, er versuchte Worte zu finden, aber es gelang ihm nicht.
Der rothaarige Wirt wies in den leeren Schankraum. »Das hier ist das Ende der Geschichte, Bast. Das ist uns doch allen klar.« Kvothes Stimme klang so sachlich und beiläufig, als spräche er über das gestrige Wetter. »Ich habe ein interessantes Leben geführt, und sich nun in Erinnerungen daran zu ergehen hat etwas Köstliches. Aber …«
Kvothe atmete tief durch. »… aber das hier ist kein kühnes Liebesabenteuer. Es ist kein Märchen, in dem die Toten wiederkehren. Es ist kein mitreißendes Epos, das dazu bestimmt wäre, das Blut in Wallung zu bringen. Nein. Wir wissen doch alle, was für eine Art von Geschichte das hier ist.«
Einen Moment lang schien es, als würde er noch weiter sprechen, doch stattdessen ließ er den Blick ziellos durch den Schankraumschweifen. Sein Gesichtsausdruck war gelassen, ohne eine Spur Bitterkeit oder Wut.
Bast warf dem Chronisten einen Blick zu, doch diesmal loderte kein Feuer darin. Kein Zorn, kein Befehl. Vielmehr blickte Bast verzweifelt, flehend.
»Solange Ihr noch hier seid, ist es noch nicht vorbei«, sagte der Chronist. »Und solange Ihr noch lebt, ist es keine Tragödie.«
Bast nickte eifrig und sah wieder zu Kvothe hinüber.
Der blickte sie beide einen Moment lang an, lächelte dann und lachte leise in sich hinein. »Ach«, sagte er liebevoll. »Ihr seid beide noch so jung.«
Kapitel 106
Rückkehr
N ach meiner Begegnung mit dem Cthaeh brauchte ich lange Zeit, bis ich wieder ich selbst war.
Ich schlief viel, aber unruhig, da mir schreckliche Träume endlos zusetzten. Einige waren sehr lebhaft und prägten sich mir unauslöschlich ein. Sie handelten überwiegend von meiner Mutter, meinem Vater und unserer Schauspieltruppe. Doch schlimmer noch waren die Träume, nach denen ich weinend,
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