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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Tempi wurde vor Verlegenheit rot.
    »Und was den angeht …« Carceret zeigte auf mich.
Wegschicken.
»Er stammt nicht von hier. Im besten Fall ist er ein Dummkopf, im schlimmsten ein Lügner und Dieb.«
    »Und was er heute gesagt hat?«, fragte Shehyn.
    »Ein Hund kann drei Mal bellen, ohne zu zählen.«
    Shehyn wandte sich an Tempi. »Wer zur unrechten Zeit spricht, weigert sich, zur rechten Zeit zu sprechen.« Tempi wurde wieder rot. Bemüht, die Fassung zu wahren, presste er die Lippen zusammen, bis sie weiß wurden.
    Shehyn holte tief Luft und ließ sie langsam entweichen. »Ketan und Lethani machen uns zu Ademre«, sagte sie dann. »Ein Barbar kann unmöglich vom Ketan wissen.« Sowohl Tempi als auch Carceret wollten etwas sagen, doch Shehyn hob die Hand. »Zugleich wäre es falsch, jemanden zu vernichten, der Lethani versteht. Das Lethani vernichtet sich nicht selbst.«
    Sie sagte es ganz beiläufig, und ich hoffte, dass ich das ademische Wort für »vernichten« vielleicht nicht richtig verstand.
    »Einige sagen vielleicht: ›Der hat genug‹«, fuhr Shehyn fort. »›Er soll nicht auch noch das Lethani lernen, denn wer Lethani kennt, überwindet alle Hindernisse.‹«
    Sie sah Carceret streng an. »Aber ich teile diese Meinung nicht. Ich glaube, die Welt wäre besser dran, wenn mehr Menschen im Geist des Lethani handelten. Denn Lethani verleiht zwar Macht, lehrt zugleich jedoch auch den weisen Umgang mit ihr.«
    Es folgte eine lange Pause. Ich spürte einen Knoten im Magen, versuchte aber nach außen Ruhe zu bewahren.
    »Ich halte es für möglich«, sagte Shehyn schließlich, »dass Tempi keinen Fehler gemacht hat.«
    Das klang zwar noch keineswegs nach freudiger Zustimmung, aber daran, wie Carceret sich plötzlich versteifte und Tempi erleichtert ausatmete, merkte ich, dass das Gespräch sich zu unseren Gunsten entwickelte.
    »Ich werde ihn Vashet übergeben«, sagte Shehyn.
    Tempi erstarrte, Carceret bekundete mit einer Handbewegungähnlich dem Lächeln eines Irren ihre vollkommene Zustimmung.
    »Ihr wollt ihn dem Hammer übergeben?« Tempis Stimme klang gepresst, und er bewegte hastig die Hand hin und her.
Achtung. Ablehnung. Achtung.
    Shehyn stand auf und erklärte das Gespräch mit einer Geste für beendet. »Wer wäre dazu besser geeignet? Der Hammer wird zeigen, ob dein Schüler Eisen ist, das es verdient, geschmiedet zu werden.«
    Shehyn nahm Tempi zur Seite und sprach kurz mit ihm. Sie strich dabei leicht mit den Händen über seine Arme. Leider war ihre Stimme selbst für meine im Lauschen so geübten Ohren zu leise.
    Ich blieb höflich neben meinem Stuhl stehen. Tempi wehrte sich nun überhaupt nicht mehr, und seine Gesten wechselten nur noch zwischen
Zustimmung
und
Respekt.
    Carceret stand wie ich etwas entfernt von den beiden und starrte mich an. Ihre Miene war gefasst, doch ihre Augen funkelten zornig. Mit der Hand machte sie seitlich, so dass die anderen sie nicht sehen konnten, einige kleine Bewegungen. Ich kannte nur die Bewegung für
Abscheu,
konnte mir die Bedeutung der anderen aber zusammenreimen.
    Ich antwortete mit einer Geste, die nicht ademisch war. Carceret kniff die Augen zusammen. Sie schien verstanden zu haben, was ich damit sagen wollte.
    Eine helle Glocke schlug dreimal. Im nächsten Moment küsste Tempi Shehyn auf Hände, Stirn und Mund. Dann bedeutete er mir, ihm zu folgen, und wandte sich zum Gehen.
    Wir betraten einen großen Raum mit niedriger Decke, in dem es nach Essen roch. Außer uns waren noch viele andere anwesend. Es handelte sich um einen Speisesaal mit langen Tischen und dunklen Bänken, deren Sitzflächen schon ganz glatt poliert waren.
    Ich folgte Tempis Beispiel und tat mir verschiedene Speisen auf einen großen Holzteller. Erst jetzt merkte ich, was für einen Hunger ich hatte.
    Dieser Speisesaal war wider Erwarten ganz anders als die Mensa der Universität. Er war zum einen viel ruhiger, und das Essen schmeckte weitaus besser. Es gab frische Milch und mageres, zartesFleisch, vermutlich Zicklein, des weiteren harten, scharfen Käse und weichen, cremigen, zwei Sorten Brot, beide noch ofenwarm, und Äpfel und Erdbeeren so viel man wollte. Auf allen Tischen standen Salzfässchen, aus denen man sich ebenfalls nach Belieben bedienen konnte.
    Es war ein seltsames Gefühl, in einem Raum zu sitzen, in dem nur Ademisch gesprochen wurde. Die anderen sprachen so leise, dass ich kein Wort verstand, aber ihre Hände waren in ständiger Bewegung. Von zehn Gesten erkannte

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