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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Lethani weißt, findet Shehyn im Unterschied zu anderen nicht schlimm. Doch im Hinblick auf unseren Ketan herrscht Einigkeit. Er ist nicht für Barbaren bestimmt. Nur Adem dürfen ihn kennen und von ihnen nur die, die dem Weg des Schwertbaums folgen.«
    Nach einer kurzen Pause fuhr Vashet fort: »Shehyn hat sich nun Folgendes ausgedacht: Wenn du der Schule angehörst, wirst du dadurch zu einem Teil von Ademre. In diesem Fall aber bist du kein Barbar mehr. Und wenn du das nicht mehr bist, ist es auch nicht schlimm, wenn du den Ketan kennst.«
    Ihre Argumentation entbehrte nicht einer gewissen verdrehten Logik. »Das hieße dann auch, dass Tempi mich unterrichten durfte.«
    Vashet nickte. »Richtig. Statt eines unerwünschten Welpen hätte er ein verlorenes Schaf zur Herde zurückgebracht.«
    »Ich bin also notgedrungen entweder ein Schaf oder ein Welpe?« Ich seufzte. »Wie würdelos.«
    »Du kämpfst wie ein Welpe«, sagte Vashet. »Tapsig, aber mit großem Eifer.«
    »Aber bin ich nicht schon Mitglied der Schule?«, fragte ich. »Du unterrichtest mich doch.«
    Vashet schüttelte den Kopf. »Du schläfst in der Schule und isst bei uns, bist aber deshalb noch kein Schüler. Viele Kinder lernen den Ketan und hoffen, dass sie Schüler werden und eines Tages das Rot der Söldner tragen dürfen. Sie leben und lernen mit uns in der Schule, gehören aber noch nicht zur Schule, wenn du mir folgen kannst.«
    »Es kommt mir komisch vor, dass hier so viele Söldner werden wollen«, sagte ich so freundlich wie möglich.
    »Du scheinst es immerhin auch zu wollen«, erwiderte Vashet mit einem scharfen Unterton.
    »Was ich will, ist lernen«, sagte ich, »aber nicht Söldner werden. Sei bitte nicht gekränkt.«
    Vashet streckte den Hals, um einen verspannten Muskel zu dehnen. »Deine Sprache ist dir im Weg. Bei den Barbaren stehen die Söldner auf der untersten Stufe der Gesellschaft. Egal wie blöde oder unnütz jemand ist, er kann immer noch eine Keule schwingen und sich als Karawanenwächter einen Halbpenny verdienen. Stimmt’s?«
    Ich nickte. »Das Leben als Karawanenwächter zieht ein rauhes Völkchen an.«
    »Bei uns sind Söldner etwas ganz anderes. Zwar werden wir auch bezahlt, aber wir wählen die Arbeit aus, die wir übernehmen wollen.« Vashet machte eine Pause. »Wer für Geld kämpft, ist ein Söldner. Wie heißt der, der für sein Land kämpft?«
    »Soldat.«
    »Und der für das Gesetz kämpft?«
    »Wachtmeister oder Büttel.«
    »Und für seinen Ruf?«
    Ich musste kurz überlegen. »Vielleicht Duellant?«
    »Und für das Wohl anderer?«
    »Amyr«, sagte ich, ohne nachzudenken.
    Vashet sah mich mit schräggelegtem Kopf an. »Eine interessante Wahl.«
    Sie hob den Arm und zeigte stolz ihren roten Ärmel. »Wir Adem verdingen uns als Wächter, Jäger und Beschützer. Wir kämpfen für unser Land, unsere Schule und unseren Ruf. Und wir kämpfen für das Lethani, mit dem Lethani und im Geist des Lethani, alles zugleich. Bei den Adem heißt der, der das rote Kleid des Söldners trägt,
Cethan.«
Sie sah mich an. »Und er hat allen Grund, stolz darauf zu sein.«
    »Der Söldner bekleidet bei den Adem also einen hohen Rang«, sagte ich.
    Vashet nickte. »Aber die Barbaren kennen unser Wort dafür nicht und würden es auch gar nicht verstehen. Deshalb muss ›Söldner‹ genügen.«
    Sie riss zwei lange Grashalme aus und fing an eine Schnur daraus zu flechten. »Deshalb war die Entscheidung für Shehyn ja so schwer. Sie muss abwägen zwischen dem, was richtig ist, und dem, was für ihre Schule am besten ist, und darf darüber auch das Wohl des ganzen Weges des Schwertbaums nicht vergessen. Statt eine vorschnelle Entscheidung zu treffen, übt sie sich in Geduld. Meiner persönlichen Überzeugung nach hofft sie, dass das Problem sich von selbst erledigt.«
    »Wie soll das denn gehen?«, fragte ich.
    »Du hättest zum Beispiel weglaufen können. Viele haben das erwartet. Oder wenn ich entschieden hätte, dass du kein würdiger Schüler bist, wären sie das Problem ebenfalls losgewesen. Du könntest auch im Verlauf der Ausbildung sterben oder zum Krüppel werden.«
    Ich starrte sie an.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Es passieren immer wieder Unfälle. Nicht oft, aber manchmal. Wenn Carceret dich unterrichtet hätte …«
    Ich verzog das Gesicht. »Wie wird man denn nun offiziell Mitglied der Schule? Gibt es so etwas wie eine Prüfung?«
    Vashet schüttelte den Kopf. »Zunächst muss jemand für dich sprechen und sagen, dass du

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