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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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letzte Geschichte, die wichtiger ist als alle anderen. Sie wird euch kundgetan, wenn ich aufwache.‹«
    Dann schloss sie die Augen und schlief ein. Und im Schlaf starb sie. Aethe lebte danach noch vierzig Jahre und es heißt, er habe nie wieder getötet. Doch hörte man ihn oft sagen: ›Ich habe den einzigen Zweikampf gewonnen, den ich verloren habe.‹
    Er führte die Schule weiter und bildete seine Schüler zu meisterhaften Bogenschützen aus. Doch außerdem unterrichtete er sie in der Weisheit. Er lehrte sie die neunundneunzig Geschichten, und so wurde Lethani in ganz Ademre bekannt. Und wir wurden zu dem, was wir heute sind.«
    Es folgte eine lange Pause.
    »Ich danke Euch, Shehyn«, sagte ich schließlich und bezeugte ihr, so gut ich konnte, meinen
aufrichtigen Dank
. »Ich würde diese neunundneunzig Geschichten sehr gerne hören.«
    »Sie sind nicht für Barbaren bestimmt.« Doch schien Shehyn über meine Bitte nicht gekränkt, denn sie deutete mit einigen Gesten eine Mischung aus
Tadel
und
Bedauern
an. Dann wechselte sie das Thema. »Wie kommst du mit dem Ketan voran?«
    »Ich arbeite daran, mich zu verbessern.«
    Sie wandte sich an Vashet. »Mit Erfolg?«
    »Er bemüht sich jedenfalls«, sagte Vashet, deren Augen noch vom Weinen gerötet waren.
Augenzwinkernde Belustigung.
»Aber er macht auch wirkliche Fortschritte.«
    Shehyn nickte.
Kleine Anerkennung.
»Einige von uns werden morgen kämpfen. Vielleicht bringst du ihn zum Zuschauen mit.«
    Vashet machte einige Gebärden von solcher Eleganz, dass mir wieder einmal klar wurde, wie wenig ich von den Feinheiten dieser Zeichensprache verstand.
Verbindlichsten Dank
und
ergebenste Zustimmung.

     
    »Du kannst stolz sein«, sagte Vashet munter. »Zuerst ein Gespräch mit Shehyn und dann die Einladung, ihr beim Kämpfen zuzusehen.«
    Wir waren zu dem Tal unterwegs, in dem wir immer den Ketan und den waffenlosen Kampf übten.
    Doch mich beschäftigten in diesem Moment einige andere, unvermeidliche und unangenehme Gedanken. Ich musste daran denken, wie eifersüchtig die Menschen doch ihre Geheimnisse hüten. Was hätte Kilvin getan, wenn ich einen Fremden ins Handwerkszentrum mitgebracht und in die Sygaldrie für Blut, Knochen und Haare eingeführt hätte?
    Ich stellte mir vor, wie wütend der Meister des Handwerks gewesen wäre, und erschauerte. Natürlich wusste ich, welche Strafe mich erwartet hätte. Sie war in den Statuten der Universität festgelegt. Aber was hätte Kilvin mit demjenigen getan, dem ich die Geheimnisse verraten hatte?
    Vashet schlug mit dem Handrücken an meine Brust, um mich aus meinen Gedanken zu wecken. »Ich sagte, du kannst stolz sein«, wiederholte sie.
    »Das bin ich auch.«
    Sie ergriff mich an der Schulter und drehte mich zu sich her. »Aber du bist in Gedanken anderswo.«
    »Was passiert mit Tempi, falls das hier mit mir ein böses Ende nimmt?«, fragte ich unverblümt.
    Vashet wurde ernst. »Er verliert seine Uniform, sein Schwert und seinen Namen und wird vom Latantha abgeschnitten.« Sie atmete langsam ein. »Und wahrscheinlich würde ihn dann auch keine andere Schule mehr aufnehmen. Er müsste Ademre also verlassen und in die Verbannung gehen.«
    »Aber in meinem Fall wäre das keine Lösung«, erwiderte ich. »Mich zu verbannen würde das Problem nur verschlimmern, nicht wahr?«
    Vashet schwieg.
    »Am Anfang hast du mich aufgefordert, zu gehen. Aber hätte man mich überhaupt gehen lassen?«
    Ihr langes Schweigen genügte mir als Antwort. Doch dann sagte Vashet trotzdem noch: »Nein.«
    Ich war ihr dankbar, dass sie keine Ausflüchte machte. »Wie würde ich also bestraft? Mit Gefängnis?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Es wäre zu umständlich, mich jahrelang hier einzusperren.« Ich sah sie an. »Also wie?«
    »Es geht uns nicht um Strafe«, sagte Vashet. »Schließlich bist du ein Barbar und konntest nicht wissen, dass du etwas Falsches tust. Es geht uns darum, zu verhindern, dass du das, was du gestohlen hast, an andere weitergibst oder zu deinem eigenen Vorteil verwendest.«
    Sie hatte meine Frage nicht beantwortet und ich sah sie eindringlich an.
    »Einige meinen, es wäre am besten, dich zu töten«, sagte sie freimütig. »Aber die meisten meinen, dass es im Widerspruch zum Lethani stünde. Shehyn meint das und ich meine es auch.«
    Ich atmete ein wenig auf. Immerhin. »Und ein Versprechen meinerseits würde wahrscheinlich nichts helfen?«
    Vashet lächelte mitfühlend. »Dass du Tempi hierher begleitet hast,

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