Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
Bett, damit nicht sein bloßer Anblick Gerüchte unter den anderen Schülern auslöste.
    Einige Tage lang befasste ich mich ausschließlich mit Lernen unter Vashets Anleitung. Ich aß allein und fing auch keine Gespräche mit anderen an, da mir meine mangelnden Sprachkenntnisse plötzlich peinlich waren. Auch Carceret mied den Kontakt mit mir, doch war sie immer in der Nähe und beobachtete mich mit bösen Schlangenaugen.
    Ich nutzte Vashets ausgezeichnetes Aturisch und stellte ihr tausend Fragen, die zu subtil waren, als dass Tempi sie verstanden hätte.
    Dagegen wartete ich drei ganze Tage, bis ich ihr die Frage stellte, die mich beschäftigte, seit ich die Ausläufer des Stormwall-Gebirges hinaufgestiegen war. Dass ich sie erst jetzt stellte, war ein überragender Beweis meiner immensen Selbstbeherrschung, wie ich fand.
    »Kennst du eigentlich Geschichten über die Chandrian, Vashet?«, fragte ich.
    Sie sah mich an, und aus ihrem sonst so ausdrucksvollen Gesicht war auf einmal jede Gefühlsregung verschwunden. »Und was hat das mit der Gebärdensprache zu tun?« Sie führte mit der Hand in rascher Folge einige Variationen der Geste für Missbilligung und Tadel aus.
    »Nichts«, antwortete ich.
    »Hat es dann mit den Kampftechniken zu tun, die du lernst?«
    »Nein, aber …«
    »Aber doch bestimmt mit dem Ketan? Oder dem Lethani? Oder vielleicht mit einer Bedeutungsnuance des Ademischen, die du nicht verstehst?«
    »Ich frage nur so aus Neugier.«
    Vashet seufzte. »Könntest du deine Neugier bitte wieder auf wichtigere Probleme konzentrieren?« Sie machte die Handzeichen für
ungeduldig
und
strenger Tadel.
    Ich ließ das Thema sofort wieder fallen. Vashet war nicht nur meine Lehrerin, sondern auch meine einzige Gefährtin. Auf keinen Fall wollte ich sie verärgern oder den Eindruck erwecken, ich würde ihrem Unterricht nur mit halber Aufmerksamkeit folgen.
    Von dieser einen, enttäuschenden Ausnahme abgesehen war Vashet eine unerschöpfliche Informationsquelle. Sie beantwortete meine endlosen Fragen schnell und verständlich. Das Ergebnis war, dass sich meine Fähigkeiten im Sprechen und Kämpfen sprunghaft verbesserten.
    Vashet war von meinen Fortschritten weniger begeistert und stand auch nicht an, mir das in aller Deutlichkeit und in zwei Sprachen zu sagen.

     
    Vashet und ich hatten uns in dem versteckten Tal, in dem der Schwertbaum stand, etwa eine Stunde lang in verschiedenen Techniken des waffenlosen Kampfes geübt. Nun saßen wir im hohen Gras und ruhten aus.
    Oder genauer gesagt, ich ruhte aus. Vashet wirkte kein bisschen außer Atem. Gegen mich zu kämpfen strengte sie nicht an, und sie konnte mich jederzeit an meinen erhobenen Händen vorbei mit einem Backenstreich für meine Fehler tadeln.
    Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und stellte ihr eine Frage, die mich schon seit einiger Zeit beschäftigte. »Darf ich dich etwas fragen, auch wenn es vielleicht überheblich klingt?«
    »Ich bevorzuge überhebliche Schüler«, antwortete Vashet. »Ich hatte gehofft, das sei inzwischen klar.«
    »Was für einen Zweck hat das alles eigentlich?« Ich zeigte zwischen uns hin und her.
    »Der Zweck davon«, sie machte meine Handbewegung nach, »ist es, dich im Kämpfen zu unterrichten, damit du nicht mehr kämpfst wie ein kleiner Junge, der versehentlich Wein getrunken hat.«
    Sie hatte sich die blonden Haare an diesem Tag zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr links und rechts auf den Rücken hingen. Die Zöpfe verliehen ihr ein eigenartig mädchenhaftes Aussehen, was meiner Selbstachtung nicht förderlich war, zumal sie mich in den vergangenen Stunden wiederholt zu Boden geworfen und zur Aufgabe gezwungen und mich außerdem mit kräftigen, wenngleich nicht mit voller Kraft ausgeführten Faustschlägen und Tritten traktiert hatte.
    Einmal war sie sogar lachend hinter mich geschlüpft und hatte mir einen Klaps auf den Hintern versetzt wie etwa ein Betrunkener, der sich im Wirtshaus an einer Kellnerin mit tief ausgeschnittener Bluse vergreift.
    »Aber warum?«, beharrte ich. »Warum unterrichtest du mich? Wenn Tempi das nicht tun durfte, warum machst du jetzt damit weiter?«
    Vashet nickte anerkennend. »Ich habe mit dieser Frage gerechnet«, sagte sie. »Du hättest sie eigentlich schon ganz am Anfang stellen müssen.«
    »Man hat mir gesagt, ich würde zu viel fragen. Deshalb habe ich mich zurückgehalten.«
    Vashet beugte sich vor. »Du weißt Dinge, die du nicht wissen solltest«, sagte sie sachlich. »Was du über

Weitere Kostenlose Bücher