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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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wertlos hält.« Sie lächelte. »Die weise Frau dagegen findet heraus, wie man die Schale knacken und den Kern essen kann.«
    Ich stand auf, ging zu Vashet und küsste sie auf Hände, Stirn und Mund. »Vashet«, sagte ich, »ich bin froh, dass Shehyn mir dich als Lehrerin gegeben hat.«
    »Du dummer Junge.« Vashet schlug den Blick nieder, doch sah ich, dass sie ein wenig errötete. »Komm jetzt, wir müssen gehen. Du willst doch sicher nicht die Gelegenheit verpassen, Shehyn kämpfen zu sehen.«
     
    Sie führte mich zu einer Wiese, deren dichtes Gras von Schafen und Ziegen bis knapp über dem Boden abgeweidet war. Dort warteten bereits andere Adem. Einige hatten kleine Hocker mitgebracht oder sich Baumstämme herangerollt, um darauf wie auf Bänken zu sitzen. Vashet setzte sich einfach auf den Boden und ich folgte ihrem Beispiel.
    Nach und nach versammelten sich weitere Zuschauer. Es mochten insgesamt nur etwa dreißig sein, doch hatte ich, vom Speisesaal abgesehen, noch nie so viele Adem an einem Ort erlebt. Sie unterhielten sich in ständig wechselnden Gruppen, meist zu zweit oder dritt, seltener auch für kurze Zeit zu mehreren.
    Obwohl also in meiner unmittelbaren Umgebung ein Dutzend Gespräche geführt wurden, hörte ich nur ein Murmeln. Die Sprecher standen so nahe beieinander, dass sie sich berühren konnten, und der Wind im Gras übertönte ihre Stimmen.
    Doch konnte ich von meinem Platz aus den Ton der jeweiligen Gespräche beurteilen. Zwei Monate zuvor hätte ich eine solche Versammlung noch als gespenstisch empfunden, als Zusammenkunft ständig zappelnder, leise flüsternder Menschen mit leeren Gesichtern. Jetzt dagegen sah ich etwa, dass es sich bei zwei Frauen um eine Lehrerin und ihre Schülerin handelte. Es ging aus dem Abstand der beiden voneinander hervor und den ehrerbietigen Gebärden der jüngeren Frau. Die drei in Rot gekleideten Männer daneben waren Freunde, die miteinander scherzten und sich dabei mit den Ellbogenanstießen. Ein weiterer Mann und eine Frau stritten sich. Die Frau war wütend, der Mann versuchte etwas zu erklären.
    Ich konnte gar nicht mehr verstehen, wie ich diese Menschen je für unruhig und zappelig hatte halten können. Jede Bewegung diente einem Zweck, jede neue Fußstellung zeigte eine andere innere Haltung. Jede Gebärde sprach Bände.
    Vashet und ich setzten unser Gespräch leise auf Aturisch fort. Alle Schulen verfügten über Konten bei kealdischen Geldleihern, erklärte Vashet. Ademische Söldner könnten überall, wo die kealdische Währung verwendet wurde, also praktisch in der ganzen zivilisierten Welt, den Schulanteil von ihrem Lohn darauf einzahlen. Das Geld wurde dem entsprechenden Konto gutgeschrieben und die Schule konnte darüber verfügen.
    »Wieviel gibt ein Söldner denn an seine Schule ab?«, fragte ich neugierig.
    »Achtzig Prozent.«
    »Achtzig Prozent?« Ich hielt acht Finger hoch, um sicherzugehen, dass ich sie richtig verstanden hatte.
    Vashet nickte. »So ist es festgelegt, obwohl viele stolz darauf sind, mehr zu geben. Auch du müsstest das abgeben, wenn du je das rote Söldnerkleid tragen würdest, was du allerdings wahrscheinlich nie tun wirst.«
    Auf meine erstaunte Miene hin fügte sie hinzu: »Es ist nicht so viel, wenn man es recht bedenkt. Die Schule ernährt und kleidet dich über Jahre und versorgt dich mit einem Platz zum Schlafen. Du bekommst von ihr dein Schwert und deine Ausbildung. Danach unterstützt der Söldner die Schule. Die Schule wiederum unterstützt das Dorf, und das Dorf zieht die Kinder auf, die dann später hoffentlich wieder Söldner werden.« Vashet bildete einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger. »Und so gedeihen alle Adem.«
    Sie sah mich ernst an. »Vielleicht kannst du jetzt besser ermessen, was du uns genommen hast: nicht nur ein Geheimnis, sondern das wichtigste Gut, das wir im Ausland verkaufen können. Du hast den Schlüssel zum Überleben dieses Dorfes gestohlen.«
    Also deshalb war Carceret so wütend auf mich, dachte ich ernüchtert.
    Aus dem Augenwinkel sah ich unter den Zuschauern Shehyns weißes Hemd und ihre gelbe Wollmütze. Das Murmeln erstarb vollends und die Zuschauer bildeten einen großen Kreis.
    Offenbar sollte an diesem Tag nicht nur Shehyn kämpfen. Den Anfang machten zwei Jungen, die einige Jahre jünger waren als ich und noch kein Rot trugen. Sie umkreisten einander eine Weile wachsam und fielen dann mit einem Hagel von Schlägen übereinander her.
    Sie bewegten sich so schnell, dass ich

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