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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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aufgefordert hatte, maß sich mit einer mageren, schmächtigen Frau. Merkwürdigerweise benützte er ein Holzschwert, während sie mit bloßen Händen kämpfte. Er siegte knapp, nachdem er zwei schmerzhafte Fußtritte in die Rippen bekommen hatte.
    »Wer hat diesmal gewonnen?«, fragte Vashet mich.
    Mir war klar, dass sie nicht die naheliegende Antwort hören wollte. »Es war kein richtiger Sieg«, sagte ich. »Die Frau hatte ja gar kein Schwert.«
    »Sie gehört dem dritten Stein an und ist dem Mann im Kämpfen weit überlegen«, erklärte Vashet. »Der Mann war ihr nur mit dem Schwert einigermaßen ebenbürtig. Andernfalls hätte er zu zweit gegen sie kämpfen müssen. Ich frage dich also noch einmal: wer hat gewonnen?«
    »Der Mann«, antwortete ich. »Aber er dürfte morgen einige blaue Flecken haben. Und er hat ziemlich rücksichtslos zugeschlagen.«
    Vashet sah mich an. »Wer hat also gewonnen?«
    Ich überlegte kurz. »Keiner von beiden«, sagte ich schließlich.
    Vashet nickte und bekundete mit einer Geste ihre Zustimmung.
Formelle Anerkennung
. Das freute mich, da alle Zuschauer, die in unsere Richtung blickten, sie sehen konnten.
    Dann endlich betrat Shehyn die Wiese. Sie hatte die schiefe gelbe Mütze abgesetzt, und ein Windstoß wirbelte ihre grauen Haare durcheinander. Mir fiel auf, wie klein sie im Vergleich zu den anderen Adem war. Aufgrund ihres selbstsicheren Auftretens hatte ich sie für größer gehalten, als sie war. Dabei reichte sie einigen größeren Adem kaum bis zur Schulter.
    Sie hielt ein Holzschwert. Kein Kunstwerk, aber doch deutlich als Schwert mit Heft und Klinge zu erkennen. Viele andere Übungsschwerter, die ich gesehen hatte, waren lediglich geglättete Stöcke. Hose und Kittel, beides in Weiß, hatte Shehyn sich mit dünnen weißen Bändern eng an den Körper gebunden.
    Mit ihr kam eine deutlich jüngere Frau. Sie war noch kleiner als Shehyn und hatte eine zartere Statur. Das kleine Gesicht und die schmalen Schultern verliehen ihr geradezu mädchenhafte Züge. Doch war sie mit ihren schwellenden Brüsten und runden Hüften, die sich deutlich unter den engen roten Kleidern abzeichneten, ganz bestimmt kein Kind mehr.
    Auch ihr Übungsschwert war aufwendig gearbeitet und im Unterschied zu den meisten anderen Schwertern leicht gekrümmt. Ihre blonden Haare waren zu einem langen, dünnen Zopf geflochten, der ihr weit über die Schultern hing.
    Die beiden Frauen hoben ihre Schwerter und begannen einander zu umkreisen.
    Die junge Frau verfügte über erstaunliche Fähigkeiten. Sie schlug so schnell zu, dass ich kaum die Bewegung ihrer Hand sehen konnte, von der Klinge ihres Schwertes ganz zu schweigen. Doch Shehyn wehrte den Schlag gelassen mit einem Treibenden Schnee ab und wich zugleich einen halben Schritt zurück. Bevor sie zum Angriff übergehen konnte, sprang die junge Frau zur Seite. Ihr langer Zopf flog durch die Luft.
    »Wer ist das?«, fragte ich.
    »Penthe«, sagte Vashet bewundernd. »Die ist eine Furie! Wie eine unserer Vorfahren aus längst vergangener Zeit.«
    Penthe wandte sich wieder Shehyn zu und täuschte einen Angriff vor. Dann näherte sie sich ihr blitzschnell. Sie duckte sich, und um die Balance zu halten, streckte sie das hintere Bein. Es berührte den Boden nicht. Den Schwertarm hatte sie nach vorn gestreckt, das Knie so tief gebeugt, dass ihr ganzer Körper sich noch tiefer als mein Kopf befand, obwohl ich im Schneidersitz auf dem Boden saß.
    Das alles ging schneller als ein Fingerschnippen. Mit der Schwertspitze zielte sie von unten auf Shehyns Knie.
    »Was ist das?«, fragte ich leise, ohne eine Antwort zu erwarten. »Das hast du mir nie gezeigt.« Ich musste nur meiner Verblüffung Luft machen. Zu so etwas wäre mein Körper in hundert Jahren nicht imstande.
    Doch Shehyn wich dem Angriff aus. Nicht durch einen Satz zur Seite oder eine andere hastige Bewegung. Sie war schnell, aber nicht die Schnelligkeit ihrer Bewegungen war entscheidend, sondern ihre Genauigkeit und Zielstrebigkeit. Bevor Penthe sie berühren konnte, war sie schon weg. Die Spitze von Penthes Schwert hatte sich ihrem Knie auf einen Fingerbreit genähert, und trotzdem war es nicht knapp gewesen. Shehyn hatte sich nur gerade so viel bewegt wie notwendig, nicht mehr.
    Diesmal konnte Shehyn einen Gegenangriff ausführen. Sie tat es mit einem »Spatz schlägt Falke« genannten Manöver. Penthe rollte zur Seite ab, berührte kurz das Gras und stieß sich vom Boden ab. Nein, sie sprang nur unter

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