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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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sie. »Meine Mutter gehört dem dritten Stein an. Ich bin eine geborene Adem, und ich werde dich zu Boden werfen.«
    Das tat sie dann auch.

Kapitel 118

Sinn und Zweck
     
    I nmitten der Gebirgsausläufer Ademres kämpften Vashet und ich eine Partie nach der anderen.
    Den Wind nahm ich inzwischen kaum noch wahr. Er gehörte genauso zur Landschaft wie der steinige Boden unter meinen Füßen. An einigen Tagen wehte er sanft und zeichnete nur ein Muster ins Gras oder wehte mir die Haare in die Augen. An anderen Tagen blies er so stark, dass er mir knallend die Kleider um Arme und Beine schlug. Er konnte einen ohne Vorwarnung aus einer unerwarteten Richtung anfallen und einem so heftige Stöße versetzen wie eine Hand zwischen den Schulterblättern.
    »Warum verbringen wir so viel Zeit mit dem waffenlosen Kampf?«, fragte ich Vashet, während ich einen Kleepflücker ausführte.
    »Weil du darin noch so schlecht bist«, antwortete Vashet und wehrte meinen Angriff mit einem Wasserfächer ab. »Weil du mich jedes Mal blamierst. Und weil du drei von vier Mal gegen ein Mädchen verlierst, das halb so groß ist wie du.«
    »Aber mit dem Schwert bin ich noch schlechter«, gab ich zu bedenken, während ich Vashet umkreiste und nach einer Blöße suchte.
    Vashet nickte. »Stimmt. Deshalb lasse ich dich nur gegen mich kämpfen. Du bist zu wild. Du könntest jemanden verletzen.«
    Ich musste lachen. »Aber ich dachte, das sei Sinn und Zweck der ganzen Übung.«
    Vashet runzelte die Stirn. Dann fasste sie mich ganz ruhig an Handgelenk und Schulter und nahm mich in den Schlafenden Bären. Mit der rechten Hand hob sie mein Handgelenk über meinenKopf und bog meinen ausgestreckten Arm schräg nach hinten, mit der linken drückte sie zugleich meine Schulter nach unten. Hilflos musste ich mich vornüberbeugen, den Blick auf den Boden gerichtet.
    »Veh«,
sagte ich zum Zeichen, dass ich mich ergab.
    Doch Vashet ließ mich nicht los. Sie bog meinen Arm noch weiter zurück und drückte noch fester gegen meine Schulter. Die kleinen Knochen in meinem Handgelenk begannen zu schmerzen.
    »Veh«,
wiederholte ich etwas lauter, weil ich glaubte, sie hätte mich nicht gehört. Doch sie hielt mich weiter fest und zog noch stärker an meinem Handgelenk. »Vashet?« Ich wollte den Kopf nach ihr umdrehen, konnte aber, gebückt wie ich war, nur ihr Bein sehen.
    »Wenn Sinn und Zweck unserer Übungen ist, jemanden zu verletzen«, sagte sie, »warum sollte ich dich dann loslassen?«
    »Das habe ich nicht gemeint …« Vashet drückte noch stärker und ich verstummte.
    »Was ist der Zweck des Schlafenden Bären?«, fragte Vashet ruhig.
    »Den Gegner kampfunfähig zu machen«, antwortete ich.
    »Wenn du meinst.« Sie verstärkte den Druck mit der langsamen, unaufhaltsamen Gewalt eines Gletschers. Dumpfe Schmerzen begannen in meiner Schulter und meinem Handgelenk zu pochen. »Bald habe ich deinen Arm aus dem Schultergelenk gedreht. Deine Sehnen werden sich dehnen und von den Knochen abreißen, deine Muskeln ebenfalls, und dein Arm wird wie ein nasser Lappen an deiner Seite baumeln. Hat der Schlafende Bär dann seinen Zweck erfüllt?«
    Aus einem animalischen Instinkt heraus wehrte ich mich, doch die Schmerzen wurden nur stärker, und ich hörte wieder auf. Vashet hatte mich auch bisher schon in Situationen gebracht, aus denen ich mich nicht mehr befreien konnte. Auch da war ich machtlos gewesen, aber diesmal hatte ich zum ersten Mal das Gefühl der völligen Hilflosigkeit.
    »Der Zweck der Schlafenden Bären ist es, die Kontrolle über jemanden zu gewinnen«, fuhr Vashet ruhig fort. »Du bist gegenwärtig in meiner Gewalt und ich kann mit dir tun, was ich will. Ich kann dich hin und her schieben, dir etwas brechen oder dich loslassen.«
    »Loslassen wäre mir am liebsten«, sagte ich hoffnungsvoll, bemüht, mir meine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen.
    Eine Pause entstand. Dann fragte Vashet ruhig: »Was ist also der Zweck des Schlafenden Bären?«
    »Die Kontrolle.«
    Ich spürte, wie sie mich losließ, stand auf und bewegte langsam die Schulter, um die Schmerzen zu lindern.
    Vashet sah mich stirnrunzelnd an. »Die Kontrolle ist Sinn und Zweck all unserer Übungen. Zuerst musst du dich selber beherrschen lernen. Dann kannst du deine Umgebung beherrschen und dann deine Gegner. Das ist Lethani.«
     
    Ich lebte nun schon fast einen Monat in Haert und hatte das Gefühl, dass sich alles zum Besten entwickelte. Vashet beglückwünschte mich zur Verbesserung

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