Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
und hielt es fest, aber nicht so, dass es ihr wehtat.
Dann führte sie den Griff wieder aus wie einen Zaubertrick. Blitzschnell machte sie mit den Händen verschiedene Bewegungen, und zuletzt stand ich wieder mit einer brennenden, leeren Hand da.
Ich streckte den Arm erneut aus.
Belustigt.
»Ich habe die langsamen Augen eines Barbaren. Kannst du mir den Griff noch einmal zeigen, damit ich ihn lerne?«
Celean trat zurück, zuckte mit den Schultern und bekundete mit einer Geste ihr Desinteresse. »Bin ich deine Lehrerin? Warum sollte ich einem Barbaren, der mich nicht einmal im Kampf schlagen kann, etwas von mir geben?« Sie hob trotzig das Kinn, wandte den Blick ab und betrachtete den Schwertbaum mit seinen kreiselndenBlättern. Doch kehrte ihr Blick gleich wieder verschmitzt zu mir zurück.
Ich musste lachen, stand auf und hob wieder die Hände.
Celean lachte auch und wandte sich wieder zu mir. »Dann los!«
Diesmal war ich bereit und wusste, zu was Celean in der Lage war. Sie war keineswegs zart wie eine Blume, sondern schnell, furchtlos und kampflustig.
Unter Ausnutzung meiner langen Arme und Beine griff ich sie an. Ich schlug mit der Tanzenden Jungfrau zu, doch sie wich mit einem Sprung aus. Nein, sie glitt förmlich von mir weg, ohne je das Gleichgewicht zu verlieren, und schob die Füße geschmeidig durch das hohe Gras.
Dann drehte sie sich plötzlich um und erwischte mich zwischen zwei Schritten. Sie täuschte einen Schlag auf meine Lenden vor und brachte mich mit einem Drehenden Mühlstein fast aus dem Gleichgewicht. Ich stolperte, konnte mich aber gerade noch auf den Beinen halten.
Ich versuchte das Gleichgewicht zu bewahren, aber sie stieß wieder mit einem Drehenden Mühlstein gegen mich und dann noch einmal und noch einmal. Jedes Mal schob sie mich zwar nur wenige Zentimeter nach hinten, doch kam ich aus dem Rückwärtsstolpern nicht mehr heraus, bis sie mir zuletzt auch noch ein Bein stellte und ich ausgestreckt auf dem Rücken landete.
Ich berührte noch nicht den Boden, da hatte sie mich schon am Handgelenk gepackt. Im nächsten Augenblick hielt sie meinen Arm mit einem »Efeu auf der Eiche« umklammert. Sie drückte mein Gesicht ins Gras und übte zugleich einen unangenehmen Druck auf mein Handgelenk und meine Schulter aus.
Ich überlegte, ob ich mich wehren sollte, aber nur ganz kurz. Zwar war ich stärker als sie, aber Griffe wie »Efeu auf der Eiche« oder Schlafender Bär bezweckten ausschließlich, Druck auf empfindliche Körperteile auszuüben. Und dafür brauchte man nicht besonders viel Kraft.
»Ich ergebe mich«, sagte ich deshalb. Auf Ademisch sagt sich das ganz leicht:
Veh,
eine Silbe, die man auch dann noch aussprechenkann, wenn man außer Atem oder erschöpft ist oder Schmerzen hat. Ich hatte sie in letzter Zeit oft gesagt.
Celean ließ mich los, trat einen Schritt zurück und sah zu, wie ich mich aufsetzte.
»Du bist wirklich nicht besonders gut«, sagte sie mit kränkender Offenheit.
»Ich bin es nicht gewöhnt, kleine Mädchen zu schlagen«, erwiderte ich.
»Woher auch?« Sie lachte. »Um sich an etwas zu gewöhnen, muss man es immer wieder tun. Du hast wahrscheinlich überhaupt noch nie eine Frau geschlagen.«
Sie hielt mir die Hand hin. Ich nahm sie, ließ mir aufhelfen und hoffte, dass das Ganze nicht zu peinlich aussah. »Was ich damit meine ist, dass es sich dort, wo ich herkomme, nicht gehört, gegen Frauen zu kämpfen.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Celean. »Dürfen die Männer nicht gemeinsam mit den Frauen kämpfen?«
»Bei uns kämpfen die Frauen in der Regel überhaupt nicht«, erklärte ich.
Celean drehte die Hand um und öffnete und schloss sie abwesend, als sei ihr Handteller schmutzig und als wollte sie den Schmutz abreiben. In der Gebärdensprache bedeutete diese Bewegung
Erstaunen,
eine Art verwirrtes Stirnrunzeln. »Wie können sie dann ihren Ketan verbessern, wenn sie nicht üben?«
»Dort, wo ich herkomme, gibt es für Frauen keinen Ketan.«
Celean kniff die Augen zusammen. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Du meinst wohl, sie haben einen
geheimen
Ketan«, sagte sie. Sie verwendete das aturische Wort für »geheim«. Ihr Gesicht blieb vollkommen unbewegt, aber sie war am ganzen Körper gespannt vor Erregung. »Einen Ketan, den nur sie kennen und den die Männer nicht sehen dürfen.«
Sie zeigte auf die Bank, auf der unsere Lehrer saßen, ohne uns zu beachten. »Vashet hat auch so etwas. Ich habe sie schon oft gefragt, ob sie ihn mir
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