Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
nicht zeigen will, aber sie weigert sich.«
»Vashet kennt noch einen anderen Ketan?«, fragte ich.
Celean nickte. »Bevor sie zu uns kam, hatte sie Unterricht imWeg der Freude.« Sie sah mit entschlossenem Gesicht zu Vashet hinüber, als wollte sie ihr allein durch Willenskraft ihr Geheimnis entreißen. »Eines Tages gehe ich auch dorthin und lerne diesen Ketan. Ich gehe überallhin und lerne alle Ketans, die es gibt, auch die geheime Lehre vom Band und der Kette und vom bewegten Becken und die Wege der Freude, der Leidenschaft und der Beherrschung, alle.«
So, wie sie es sagte, klang es nicht nach einem kindlichen Tagtraum, als wollte sie unbedingt einmal einen ganzen Kuchen essen. Es klang auch nicht angeberisch, als spreche sie von einem Plan, den sie sich ganz allein ausgedacht hatte und für sehr schlau hielt.
Nein, sie sagte es mit einer ruhigen Bestimmtheit, als erkläre sie lediglich, wer sie sei, und nicht mir, sondern sich selbst.
Sie sah mich wieder an. »Ich werde auch dein Land besuchen.«
Feste Überzeugung
. »Und ich werde den barbarischen Ketan lernen, den eure Frauen vor euch geheim halten.«
»Du wirst enttäuscht sein«, entgegnete ich. »Ich habe mich vorhin nicht falsch ausgedrückt. Ich kenne das Wort für ›geheim‹. Aber ich wollte sagen, dass dort, wo ich herkomme, nur wenige Frauen kämpfen.«
Celean drehte wieder verwirrt die Hand um und ich merkte daran, dass ich mich deutlicher ausdrücken musste. »Dort, wo ich herkomme, nehmen viele Frauen ihr ganzes Leben lang kein Schwert in die Hand. Die meisten wissen auch gar nicht, wie sie einander mit der Faust oder Handkante schlagen könnten. Sie wissen nichts, was auch nur im Geringsten mit Ketan zu tun hätte. Sie kämpfen überhaupt nicht.« Zur Betonung der letzten beiden Worte machte ich die Geste für
entschiedene Verneinung.
Jetzt schien Celean mich endlich zu verstehen. Ich hatte schon erwartet, dass sie ein entsetztes Gesicht machen würde, aber sie stand nur mit verständnisloser Miene und reglos herunterhängenden Händen da, als wisse sie nicht, was sie denken sollte. Es war, als hätte ich gesagt, dass die Frauen in meiner Heimat keine Köpfe hätten.
»Sie kämpfen nicht?«, fragte sie misstrauisch. »Nicht gegen die Männer und nicht gegeneinander? Gegen überhaupt niemanden?«
Ich nickte.
Eine sehr lange Pause entstand. Celean hatte die Stirn gerunzelt, und ich konnte förmlich sehen, wie sie versuchte, sich das vorzustellen. Sie machte die Gebärden für
Verwirrung
und
Ratlosigkeit.
»Was tun sie dann?«, fragte sie schließlich.
Ich dachte an die Frauen, die ich kannte, an Mola, Fela und Devi. »Vieles«, antwortete ich. Da mir die entsprechenden Worte fehlten, musste ich sie umschreiben. »Sie machen Bilder aus Steinen, sie kaufen und verkaufen Geld, und sie schreiben Dinge in Bücher.«
Meine Aufzählung schien Celean zu beruhigen. Sie war offenbar erleichtert zu hören, dass die ausländischen Frauen, die nichts vom Ketan wussten, deshalb nicht wie Tote herumlagen.
»Sie heilen Kranke und verbinden Wunden. Sie spielen …« Fast hätte ich gesagt, sie spielen Harfe und singen Lieder, aber ich besann mich rechtzeitig. »Sie spielen Spiele, pflanzen Weizen an und backen Brot.«
Celean überlegte lange. »Aber ich würde lieber all das tun
und
kämpfen«, sagte sie entschieden.
»Einige Frauen tun das auch, aber für die meisten gilt es als Verstoß gegen das Lethani.« Ich sagte nur deshalb »Verstoß gegen das Lethani«, weil mir die ademischen Wörter für »angemessenes Benehmen« fehlten.
Celean machte die Handbewegung für
Vorwurf
und
scharfen Tadel.
Zu meiner Überraschung kränkte mich die Zurechtweisung durch dieses Mädchen in seinem leuchtend gelben Hemd viel mehr als je ein Tadel Tempis oder Vashets. »Lethani ist überall gleich«, sagte sie fest. »Es ist nicht wie der Wind, der überall anders weht.«
»Lethani ist wie das Wasser«, erwiderte ich, ohne nachzudenken. »Es ändert sich selbst nicht, passt sich aber in seiner Gestalt seiner Umgebung an. Es ist Fluss und Regen zugleich.«
Celean durchbohrte mich mit ihrem Blick. Als Adem machte sie kein wütendes Gesicht, aber ihr Blick hatte dieselbe Wirkung. »Wie kannst du dir anmaßen zu sagen, was Lethani ist?«
»Wie kannst du es?«
Celean starrte mich einen Moment lang an und ich meinte zwischen ihren hellen Augenbrauen ganz schwach eine senkrechte Faltezu erkennen. Dann lachte sie kurz und hob die Hände. »Ich bin Celean«, rief
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