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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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und sehr ähnlich gebaut, beider Gesichter waren geprägt durch auffällig hohe vorspringende Wangenknochen. Fast erschreckend aber war die Ähnlichkeit der Augenpaare. Das gleiche klare Blau, das man ebensogut als unergründlich tief wie als kalt und grausam beschreiben könnte. In Ulissas bleichem, brauenlosen Gesicht schienen diese Augen eine Idee dunkler und härter zu funkeln.
    Eine rothaarige Amazone, die gleich neben der Königin gestanden hatte, sprengte heran, schlug jedem von uns – zum Spaß – mit einer kurzen Peitsche über den Rücken und befahl den Feilschern, uns loszubinden. Wir sollten zu einer Kette neu verschnürt werden, wenn ich sie richtig verstand. Kaum hatte man uns die Fesseln abgenommen, da gab es plötzlich ein Durcheinander: Elgors Stimme brüllte: »Jetzt!« und: »Los, Larix, Arve! Lauft, lauft!«
    Vom Kopfschmerz noch immer völlig benommen, begriff ich überhaupt nicht, was um mich herum vor sich ging. Wie durch einen Nebel sah ich Elgor mitten im Kampfgetümmel. Offenbar hatte er zwei Amazonen aus den Sätteln geworfen und war der Anführerin in die Zügel gefallen, rang mit ihr um den Säbel, den sie in der Faust hielt. Irgend etwas mußte ich tun, das hatte ich begriffen, aber mir war vor Schmerz und Übelkeit so schwindelig, daß ich mich kaum bewegen konnte. Ich beobachtete Larix, der wie ein Hase über die Lichtung hetzte, verfolgt von zwei Reiterinnen, sah Yppolita, die wie ich tatenlos zwischen Mimmels Feilschern und den Amazonen stand, und sah Elgors Gegnerin, die den Säbel fahren ließ, plötzlich einen schlanken Dolch in der Linken hatte und zweimal zustieß, Elgor in Brust und Schulter traf.
    Kurz darauf war alles vorüber. Larix hatte es nicht bis zum Waldrand geschafft und war von den Reiterinnen zurückgeschleift worden. Man hatte uns aneinandergebunden und in Eile zur Burg gezerrt. Aus der Dolchwunde in Elgors Schulter war das Blut wie aus einem Brunnen gesprudelt, eine kleine Fontäne bei jedem Schritt. Ich hätte nie gedacht, daß er den Marsch zur Burg durchstehen würde, aber er hatte noch gelebt, als man uns von Yppolita trennte und in die Arrestzelle stieß.
    Kurz darauf verlor er das Bewußtsein, und Larix und ich hatten den Krieger auf die Pritsche gelegt, uns zu ihm auf den Boden gekauert und – was hätten wir denn anderes tun sollen? – zugesehen, wie das Blut aus der Wunde quoll, den notdürftigen Verband tränkte und auf den Boden tropfte, wie unser Freund schwächer und schwächer wurde und endlich starb, wie sich seine angespannte, sorgenvolle Miene plötzlich glättete – so, als sei er soeben zu sich gekommen und wollte uns nun etwas Beruhigendes sagen, aber Elgor blieb stumm. Er war gestorben, weil er versucht hatte, uns zu helfen. Ja, er starb einen ehrenvollen Tod, eines Ritters würdig – und dennoch genauso sinnlos wie jedes Sterben überall in der Welt. Ich will gern zugeben, daß ich den starrsinnigen, oft anmaßenden Kriegsmann während unserer Reise bisweilen ins fernste Yetiland verwünscht hatte, aber nun, da er starb, fuhr mir ein kaltes Messer in die Brust. Schmerz und Wut schnürten mir die Kehle zu. Warum sind wir so abgrundtief hilflos, wenn wir dem Sterben begegnen? Was nützt es uns, wenn wir Schiffe mit drei Masten bauen und das Meer der Sieben Winde befahren können? Was hilft uns eine Magie, die Steine sprechen macht und Blitzstrahlen so genau wie Pfeile lenkt? Wozu das alles, wenn wir, sobald es darauf ankommt, hilflos wie eben geborene, blinde Mäuse sind? Wozu leben wir überhaupt, wenn wir am Ende doch sterben müssen? Wozu die ganze Plackerei? Wollen die Götter uns verhöhnen, in dem sie uns zeigen, daß nur sie wahrhaftig zu geben und zu nehmen verstehen ...?
    Larix' Stimme riß mich aus meinen Gedanken: »Du, Arve, sieh mal, dort drüben bei der Scheune! Der nächtliche Besucher hat etwas zurückgelassen!«
    Ich schaute in die Richtung, in die sein Finger wies, und entdeckte einen Kotstrang, glänzend schwarz und so dick und lang wie ein Männerschenkel.
    »Da! Gibst du nun zu, daß ich recht hatte? Von wegen: Gemeinsame Sinnestäuschung! Oder willst du mir weismachen, diese ... diese Wurst würden wir uns auch nur einbilden?«
    Der Zwerg spielte auf die hilflosen Worte an, mit denen ich eine unfaßbare nächtliche Beobachtung zu erklären versucht hatte. Ich hatte, was wir vom Fenster aus erblickten, als Augentäuschung bezeichnet. Denn ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß die Kreatur wirklich dort unten

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