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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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gesehen haben, werden sie uns kaum wieder laufenlassen. Ihnen wird schon etwas einfallen.«
    Larix wandte sich ebenfalls vom Fenster ab. Sein Blick fiel auf Elgor, wanderte über das weiße Gesicht mit den geschlossenen Augen, die friedvolle, entspannte Miene – und über die riesige, halb angetrocknete Blutlache, die sich auf den Steinfliesen unter der Pritsche ausgebreitet hatte. »Elgor von Bethana«, Larix' Schultern hoben sich, »vielleicht hat er den besseren Teil gewählt ... Jedenfalls liegt jetzt alles hinter ihm. Unser Tod wird weniger ehrenvoll sein.«
    Elgors ehrenvoller Tod! Ich brauchte nur die Augen zu schließen, dann sah ich sie immer wieder vor mir: die letzten Minuten im Leben des Weggefährten.
     
    Die kleinen Widerlinge hatten uns zu einem riesigen Baum geführt, in dessen Stamm vom Wipfel bis zur Wurzel ein rußgeschwärzter Riß klaffte. Wir hatten den Weg mit verhüllten Augen zurückgelegt, die Hände auf den Rücken gefesselt. Es war ein langer Marsch gewesen. Am Anfang hatten wir immer noch unter dem Einfluß jenes Tranks gestanden, mit dem der Feilscherhäuptling uns unseren Willen genommen hatte. Ich weiß noch genau – und meine Wangen röten sich vor Scham, wenn ich daran denke –, wie wir unter den Säcken, die unsere Köpfe bedeckten, unablässig alberne Scherze machten. Einen Fluchtplan hätten wir ersinnen sollen, irgend etwas tun, um dieser unwürdigen Lage ein Ende zu machen, aber wir schütteten uns aus vor Lachen, wann immer das schrille Gekecker unserer Begleiter an unsere Ohren drang, und stritten kichernd darüber, wie unser Kopfputz wohl auf die Amazonen wirken würde. Ich erinnere mich, wie ich zu Elgor sagte, in seinem besonderen Fall sei es wohl günstiger, wenn er den Sack gar nicht mehr abnähme. Seit er ihn trüge, habe er beträchtlich an Liebreiz gewonnen ... Da hatte Elgor von Bethana noch knapp vier Stunden zu leben.
    Vermutlich war Yppolita die erste, die aus ihrem Rausch erwachte: Irgendwann hörte sie auf zu kichern und auf unsere Albernheiten zu antworten. Wir nannten sie einen Spaßverderber und scherzten weiter, bis bei jedem von uns eine würgende Übelkeit und lähmender Kopfschmerz nach und nach die Beschwingtheit des Rausches ersetzte. Mir war, als müßte ich unter dem groben Sack ersticken und litt gleichzeitig unter der Angst, ich könnte mich jeden Augenblick in die Umhüllung hinein erbrechen. So stolperten wir über Reisig und Geröll, stürzten, wurden von kleinen kräftigen Händen gepackt und wieder in die Höhe gezerrt.
    Unterdessen hatten die Feilscher damit begonnen, uns mit kurzen, angespitzten Stöcken die Marschrichtung zu weisen: ein kleiner Schritt zur falschen Seite, und schon bohrte sich eine Holzspitze irgendwo in meine Haut. Die kleinen Wunden brannten höllisch, in meinem Kopf dröhnte und hämmerte der Schmerz, um mich unentwegt an den Trank zu erinnern, den ich so sorg- und gedankenlos in mich hineingeschüttet hatte. Meinen Gefährten erging es nicht besser, und wir fühlten uns gemartert und elend, als wir endlich jenen von einem Blitzschlag zerstörten Baum erreicht hatten und die Säcke von unseren Köpfen gezogen wurden.
    Sieben Amazonen hatten am Treffpunkt bereits auf uns gewartet. Vom Rücken ihrer hochbeinigen Pferde herab hatten sie uns stumm gemustert, teils neugierig, teils feindselig. Königin Ulissa war im Kreise der Reiterinnen leicht zu erkennen. Sie trug einen vergoldeten Panzer, geschmückt mit gehämmerten Reliefs, Darstellungen von Blumengirlanden und Lorbeerzweigen. Die blankgeputzten Muster blinkten im Sonnenlicht. In die Brustwölbung war je eine dreiblättrige Krokusblüte aus Lapislazuliplättchen eingelegt. Mit eben solchen Steinen war auch der hohe, goldene Helm verziert: Sie schmückten die Fassung, in der der Helmbusch aus mächtigen, leuchtend rot gefärbten Straußenfedern steckte. Ich bin sicher, ich hätte die Königin auch dann auf Anhieb erkannt, wenn sie eine weniger prunkvolle Rüstung getragen hätte. Ihre blonden Locken waren von so heller Farbe, daß sie fast weiß erschienen, viel heller als Yppolitas Haar also. Gesicht und Körper wirkten weicher, fraulicher. Weiblich war auch der leuchtend rote Mund, sanft geschwungen und mit voller, fleischiger Unterlippe. Yppolita besaß kräftige, dunkelblonde Augenbrauen, Ulissas Brauen waren so blaß, daß man sie kaum sehen konnte. Und doch waren die beiden auf zehn Schritt Entfernung als Schwestern zu erkennen. Beide waren gleich groß gewachsen

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