Die Gabe der Amazonen
auf.
Gewiß, Yppolita, die Verbannte, hatte den Tod verdient. Auf ihre frevelhafte Herausforderung – die heimliche Rückkehr nach Kurkum – konnte es keine andere Antwort geben. Niemand in Kurkum hätte um Gnade für sie gebeten. Aber Ulissa gab sich zu sehr ihren Rachegefühlen hin. Man darf nicht vergessen, daß Yppolita einmal die Königin der Amazonen gewesen ist. Die Kriegerinnen konnten es nicht ertragen, ihre einstige Führerin so erniedrigt zu sehen. Ulissa hatte der Schwester die Würde rauben wollen und verlor dabei viel von ihrer eigenen.
Wie konnte sie Yppolita einen halben Tag und eine Nacht lang auf dem Hof an den Pranger stellen? Wie konnte sie von uns erwarten, daß wir nichts Eiligeres zu tun hätten, als unsere ehemalige Herrscherin mit Speichel und Unrat zu besudeln? Natürlich hat keine von uns Königin Ulissa diesen Gefallen getan!
Es lag eine düstere Wolke über der Burg. Die Kriegerinnen waren erfüllt von Bitterkeit. Wir alle sehnten uns die Hinrichtung herbei, damit diese Stunden der Schändlichkeit ein Ende hätten.
»Jetzt wird es bald soweit sein!« rief Larix über die Schulter. »Zwei von diesen Dämonenweibern schleppten gerade den Richtblock in den Hof.«
Ich ging zu ihm ans Fenster, vorbei an der Pritsche, auf der Elgor lag, und schaute durch die Gitterstäbe nach unten. Ein kalter Wind blies mir ins Gesicht. Auf dem Hof waren zwei Amazonen damit beschäftigt, einen runden Holzklotz aufzurichten, den sie aus einem Schuppen herbeigerollt hatten. Am Fuß des Klotzes waren zwei eiserne Schellen befestigt, vermutlich konnten dort die Hände des Verurteilten eingespannt werden. Abgesehen von diesen Fesseln glich der Block einem ganz gewöhnlichen Hauklotz, auf dem Brennholz gespalten wird.
»Arme Yppolita«, murmelte Larix, »ein schieres Wunder, daß sie in der Nacht nicht erfroren ist.«
Drei Schritt nämlich von dem Block entfernt stand Yppolita an einen Pfahl gelehnt, ihre Arme hatte man über dem Kopf an dem Holzstamm festgezurrt. Ihre Füße – die Zehennägel waren mit roter, glänzender Farbe bemalt – steckten in hochhackigen Sandalen. Am Körper trug sie ein weites Kleid aus hauchdünnem, rotem Gewebe, durchsichtig wie ein Nebelschleier und nur in der Taille von einer Silberkette als Gürtel gehalten. Wangen und Lippen waren dick mit roter Schminke beschmiert – kurzum: Ulissa hatte viel Sorgfalt darauf verwendet, ihre Schwester wie eine billige Beilunker Hure aussehen zu lassen. Ihre Erscheinung sollte, so Königin Ulissa, an die Schande gemahnen, die Yppolita über sich und Kurkum gebracht hatte. Der Wind, in dem sie nun schon seit zwanzig Stunden stand, pfiff durch den Hof und zerrte an ihrer vulgären Verkleidung. Doch sie schien die Kälte nicht zu bemerken. Sie hatte die Augen geschlossen, als schliefe sie, und ihre Miene war völlig unbewegt.
»Vielleicht ist es ein Glück, daß Junivera nicht mehr bei uns ist«, sagte Larix nachdenklich. »Sie hatte sich so viel von Kurkum versprochen, für sie war die Burg der Amazonen fast ein heilige Stätte ...« Er spuckte durch das Gitter auf den Hof. »Aber es ist ein abscheulicher Ort. Diese Frauen und ihre Gebräuche sind mir widerlich – und ihre Königin ist die schlimmste von allen ... Wenn ich daran denke, wieviel Vergnügen es ihr bereitet hat, ihrer Schwester dieses Dirnengewand anzuziehen! Sag, Arve, entspricht das einer Königin?«
Meine Augen brannten. Wenn ich Mädchen – oder Yppolita – noch länger betrachtet hätte, wären mir die Tränen gekommen. Davor fürchtete ich mich, denn wenn ich einmal zu weinen begonnen hätte, hätte ich niemals wieder aufhören können. So fühlte ich mich jedenfalls. Ich kehrte dem Fenster den Rücken zu und ließ meinen Blick durchs Zimmer wandern. Viel gab es nicht zu sehen. Die Amazonen hatten uns nicht ins Verlies geworfen, sondern in eine Arrestzelle im Palast gesperrt – vermutlich, weil wir von hier aus einen guten Blick auf den Hof und Yppolita hatten. In der Zelle standen zwei Schemel, ein schmaler Spind und die Pritsche, auf der Elgor lag.
»Wir haben es weit gebracht, Larix«, sagte ich. »Junivera und Viburn in die Sklaverei verkauft, Mädchen am Schandpfahl, den Richtblock vor Augen, und Elgor ...«
Der Zwerg hatte gar nicht zugehört. »Was mögen sie mit uns vorhaben, Arve? Ob sie uns auch den Kopf abschlagen?«
»Keine Ahnung. Ich will es auch gar nicht wissen. Nur eines ist klar: Nachdem wir Kurkum, ihre geheime Burg,
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