Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
Vom Netzwerk:
»Schau, schau, da ist ein Bild von dir«, sagte er schließlich. »Du bist gar nicht schlecht getroffen.«
    Ich nahm ihm die Stücke aus der Hand. In den Schiefer waren fünf Figuren eingeritzt: Eine Frau, ein Zwerg und drei Männer – einer der Männer hatte tatsächlich spitze Ohren.
    »Was hältst du davon?« fragte ich.
    »Jetzt wissen wir, daß sie tatsächlich uns verfolgen. Man hat ihnen sogar einen Steckbrief mitgegeben.« Viburn dachte einen Moment nach und tippte dann noch einmal auf den Erschlagenen. »Ich glaube, Arve, hier liegt der Goblinhäuptling. Alles spricht dafür: Er hat eine gute Ausrüstung besessen, und er trug den Steckbrief. Außerdem kann gerade ein Goblinhäuptling leicht mit einem Oger in Streit geraten, die andern Schurken sind viel zu kriecherisch. Er aber hatte ein Gesicht zu verlieren.« Einen Augenblick lang betrachtete Viburn gedankenverloren den offenstehenden Rachen mit den weit vorspringenden Kiefern, die schlaff heraushängende schwarze Zunge, die am schütteren roten Fell der Kreatur festgeklebt war. Dann bückte er sich, drückte dem Goblin die Augenlider herunter und warf einen Lumpen über seinen Kopf. »Warum bist du nicht in deinem Erdloch geblieben, du Trottel?« murmelte er. Dann sah er mich an und grinste. »Jetzt sind wir vor ihnen sicher. Sie haben ja jetzt keinen Steckbrief mehr.«
    Wir warfen noch einen raschen Blick in die Runde, entdeckten aber nur die Überreste eines kleinen Wildschweins, und suchten nach der Stelle, an der die Meute die Lichtung verlassen hatte. Bald fanden wir ihre Spur. Viburn erschauderte, als wir den ersten Ogerabdruck fanden. Er stellte seinen Fuß in die Vertiefung und schüttelte den Kopf. »Nein, den Burschen möchte ich wahrhaftig nicht kennenlernen.«
    Es goß noch immer. Der Bach im Talgrund war zu einem kleinen Fluß angeschwollen, der hier und da die Fährte überspülte. Dennoch konnten wir ihr leicht folgen. Die Meute hielt konstant die gleiche Richtung und entfernte sich immer weiter von unserem Lager. Offenbar hatten unsere Verfolger unsere Spur verloren.
    Erleichtert entschlossen wir uns zum Umkehren. Wir hatten noch einen weiten Weg zum Lager zurückzulegen und würden erst am Nachmittag dort eintreffen. Wir waren guter Dinge und freuten uns darauf, den Gefährten die günstige Nachricht überbringen zu können. Auf dem Weg gelang es mir noch, einen Wollhamster zu erschießen, eine schmackhafte Beute, die für zwei Mahlzeiten reichen mochte.
    Viburn war der Meinung, daß dem Schützen die Ehre gebührte, die Beute ins Lager zu schleppen, ich fand, man sollte sich die Jagdarbeit teilen: Der eine schießt, und der andere schleppt. Schließlich trugen wir das pelzige Bündel zu zweit.
     
    Auch am nächsten Tag wehte eine milde Luft durch den Höhleneingang. Larix war als erster auf den Beinen und humpelte in der Höhle auf und ab. »Los, hoch mit euch!« rief er. »Wir wollen einen Happen essen, dann können wir endlich weiterziehen!«
    Junivera, die die letzte Wache übernommen hatte, schlüpfte zu uns herein. »Es ist alles ruhig«, verkündete sie. »Das wird ein Tag wie im Frühling. Hoffentlich haben wir morgen, wenn wir aufbrechen wollen, auch so gutes Wetter.«
    »Wir marschieren heute los!« entgegnete Larix.
    »Daraus wird nichts!« Junivera warf einen Blick auf seinen Bauch.
    »Sieht wirklich sehr gut aus – aber marschieren kannst du noch nicht. Du hast eine Woche still gelegen. Jetzt mußt du dich erst wieder an die Bewegung gewöhnen. Eigentlich sollten wir bis übermorgen warten.«
    Larix rang nach Worten.
    »Junivera hat recht«, entschied Elgor ruhig. »Wenn du nach ein paar Meilen umkippst, haben wir nichts gewonnen. Außerdem wird sich die Goblinmeute bis morgen noch weiter von uns entfernt haben. Wir wollen ihnen nicht zufällig in die Arme laufen.«
    Nach dem Frühstück brachen Viburn und Mädchen zu einem ihrer Spaziergänge auf.
    »Bleibt in der Nähe und haltet die Augen offen!« rief Elgor ihnen nach.
    Ich setzte mich in den Höhleneingang und sah hinter ihnen her. Unsere Höhle lag zwei, drei Mannshöhen über dem Talgrund in der Südflanke eines schmalen Tals, das sich in Ost-West-Richtung schlängelte. Nach Westen stieg die Talsohle ziemlich steil an, nach Osten verbreiterte sich der Einschnitt und fiel sanft ab. Viburn und Mädchen gingen nach Westen und waren bald hinter einer Biegung der Talwände verschwunden.
    Ich verließ meinen Platz, um eine Plauderei mit Larix zu beginnen, aber der Zwerg

Weitere Kostenlose Bücher