Die Gabe der Amazonen
wir sehen, ob du eine treue Dienerin deiner Göttin bist!«
Junivera war aufgesprungen und nestelte an ihrer Robe.
Die Stimme des Ogers dröhnte in unseren Ohren: »Du hören! Rondra große Göttin, aber nicht so groß wie Ogermist! Du kommen?«
Junivera ließ ihr Gewand fallen, und ein kurzes, blinkendes Kettenhemd kam zum Vorschein. Sie riß ihr Schwert aus der Scheide und trat zum Höhleneingang.
Ich ergriff ihren Arm. »Was ist denn in dich gefahren? Hast du den Verstand verloren? Du kannst doch nicht zu dem Ungeheuer hinuntergehen!«
Juniveras Gesicht war schneeweiß, ihr Blick ging starr durch mich hindurch. Das Sprechen bereitete ihr Mühe.
»Ich muß! Rondra will es so!«
Ich redete wild auf sie ein, suchte verzweifelt nach Worten, aber Elgor legte mir die Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. »Sie kann dich nicht hören.«
Junivera ging hinaus. Elgor ergriff sein Schwert und folgte ihr. Auch Larix humpelte durch das Loch. Was sollte ich tun, wenn alle um mich herum vom Wahnsinn ergriffen wurden? Ich ging hinter ihnen her.
Ich hatte erwartet, daß wir von ein paar Goblinpfeilen empfangen würden, irrte mich aber. Offenbar wollten sie dem Oger nicht die Freude am Kampf verderben, indem sie sein Opfer zuvor durchlöcherten. Um die Goblins nicht zu einem Bruch ihrer Kampfsitten zu verleiten, ließ ich den eigenen Bogen fallen und zückte meinen Dolch.
Langsam gingen wir dem Oger entgegen. Junivera bewegte unaufhörlich stumm ihre Lippen. Ihre Augen schienen jetzt fast geschlossen.
Bald waren wir nur noch gut dreißig Schritt von dem Ungeheuer und seiner Meute entfernt. Der Oger hob spielerisch den Knüppel, sein Mund verzog sich zu einem Grinsen und zeigte lauter gelbe Zahnstummeln. Der Menschenfresser war erstaunlich groß. Sein rundes, warziges Gesicht blickte von oben auf uns herab, eine Kuhzunge kam zum Vorschein, fuhr über Ober- und Unterlippe und tief erst in das eine, dann in das andere Nasenloch hinein.
Der feiste, blasse Bauch hing schwer zwischen den Säulenbeinen herab. Das ranzige Fett, mit dem der Oger sich über und über beschmiert hatte, stank zu uns herüber.
Mir wurde übel. »Das kann doch nicht das Ende sein«, dachte ich.
Wir waren noch näher herangekommen. Es trennten uns noch etwa zwanzig Schritt.
Der Oger blieb stehen, kratzte sich unter dem speckigen Lendentuch und rülpste schwer.
Junivera zögerte ebenfalls.
Plötzlich riß sie das Schwert hoch, stieß die Klinge senkrecht in die Luft, und ihre Stimme schrillte durch das Tal: »Rondras Zorn, komm herab und steh uns bei!«
Der Oger und die Goblins starrten sie überrascht an. Der Goblinfreund wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Auch ich war erschreckt zusammengefahren. Es hatte eine fremde Wildheit in Juniveras Ruf gelegen, und ihre Stimme war so laut gewesen, daß ich ein schmerzhaftes Klirren in den Ohren spürte. »... steh uns bei ... uns bei!« hallte ein stahlhelles Echo immer wieder durch das enge Tal.
Die wulstigen Ogerlippen kräuselten sich wiederum zu einem dumpfen Grinsen. Er schloß beide Fäuste um den Stamm, hob ihn quer vor die Brust und tat einen großen Schritt nach vorn. Die Goblins trillerten einen Ruf, der wie »Yekyekyek!« klang.
Junivera stellte die Füße auseinander und wog das lange Schwert in den Händen. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr lösen, von ihrer schmalen Gestalt in dem blinkenden Kettenhemd, über der sich turmhoch die feisten Massen des Menschenfressers erhoben. Meinen Dolch hielt ich so fest umklammert, daß meine Finger schmerzten. Junivera stand ganz still. Überall ringsumher herrschte eine Stille, als hielte die Welt den Atem an.
In das beklemmende Schweigen drang ein leises Geräusch. Oben von der Felswand zu unserer Rechten war ein kaum vernehmliches Knistern zu hören. Urplötzlich folgte ein dumpfes Bersten, das den Boden unter unseren Füßen erschütterte.
Elgor fand als erster die Sprache wieder. »Zurück! Zurück!« schrie er Junivera zu. Als diese sich nicht regte, sprang er vor, packte sie am Arm und zerrte sie mit aller Kraft hinter sich her. Ohne recht zu wissen, was ich tat, folgte ich Elgors Beispiel, krallte meine Rechte in Larix' Wams und stieß und schleppte den Zwerg nach hinten.
Der Oger stutzte, tat dann ein, zwei Schritte nach vorn, wohl um uns Fliehenden nachzusetzen. Im gleichen Moment ging die Welt unter. Der Hang rechts von uns sackte in sich zusammen wie ein zerfließender Pudding. Schlamm, Steine und Geröll rutschten
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