Die Gabe der Amazonen
mit einem Höllenlärm ins Tal hinab. Gewaltige Felsbrocken hüpften wie Korkbälle den Erd- und Gesteinsmassen voran. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie einer der rollenden Felsen dem Oger die Beine wegriß. Das Ungeheuer fiel schwer wie ein Baumstamm. Dann überspülte es eine Welle aus Schlamm und Steinen.
Wir blieben erst stehen, als das Poltern, Schieben und Stoßen hinter uns verstummt war und der Boden zu zittern aufgehört hatte. Dann drehten wir uns langsam um. Junivera ließ sich auf die Knie fallen, reckte die Arme hoch, legte den Kopf in den Nacken und stimmte ein Gebet an. Elgor folgte ihrem Beispiel. Er sang mit lauter, kräftiger Stimme.
Aus dem Hang auf der Südseite war eine mächtige Scholle herausgebrochen und ins Tal gerutscht. Hier und da quoll zähflüssiger Schlamm aus der dunklen Wunde in der Bergflanke und kroch zur Talsohle hinab, auf der sich eine Halde aus Erde, Geröll, zersplittertem Holz und mächtigen Felsbrocken aufgetürmt hatte.
Larix schien von den Ereignissen wenig beeindruckt. »All die Nässe der letzten Tage ...«, murmelte er. »Und dann das plötzliche Tauwetter ...« Da uns die Erdmassen den Blick in den unteren Teil des Tals versperrten, kraxelte er am Hang hinauf, um von dort Ausschau zu halten. »Fünf Goblins leben noch, Arve!« rief er mir zu. »Ach, du solltest sehen, wie das Gesindel rennt! Den Oger und den Goblinfreund kann ich nirgends entdecken!«
Nachdem der Zwerg wieder von seinem Ausguck herabgestiegen war, warteten wir noch eine Weile und gingen dann hinunter zur Halde, um sie zu untersuchen. Von den Verschütteten konnten wir kein Anzeichen entdecken. Mir war es lieber so. Ich konnte mich ohnehin nicht von der Vorstellung lösen, daß der Oger gar nicht tot sei. Jeden Augenblick rechnete ich damit, daß er sich unversehrt und gewaltiger denn je aus den Gesteinstrümmern erheben würde ... Aber alles blieb ruhig. Wir entschieden, daß es wenig Sinn hatte, noch weiter in der nassen Erde herumzustochern, und gingen daran, mit ausgerissenen Grasbüscheln unser Schuhwerk von dem zähen Schlamm zu befreien.
»Wo nur Viburn und Mädchen bleiben?« murmelte Elgor nach einer Weile.
»Das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte ich. »Aber ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Sie sind höchsten zwei Stunden fort. In der Zwischenzeit ist so viel geschehen, daß uns die Zeit wie ausgedehnt erscheint.«
Wir kehrten zu unserem Unterschlupf zurück. Aus der Decke waren ein paar Steine herabgefallen, aber sonst war die Höhle unversehrt geblieben. Vom Eingang warf Elgor einen Blick zurück in das halb verschüttete Tal. »Rondra ist eine mächtige Göttin«, sagte er.
»Sie hat ein großes Wunder für uns getan«, pflichtete ihm Junivera bei. »Ich kann es selbst kaum fassen. Der Oger hat einen Fehler gemacht – er hat die Göttin selbst beleidigt. Das hätte er nicht tun dürfen.«
»Er wollte dich herausfordern«, sagte Elgor.
»Gewiß, das war seine Absicht. Dieser Goblinfreund muß ihm das eingegeben haben. Er wußte wohl, daß wir Rondrageweihten keine Herausforderung ablehnen dürfen, ganz gleich, wie nichtswürdig der Herausforderer ist ... Aber der Oger hat alles verdorben, er hat die Göttin selbst herausgefordert.«
»Vielleicht bist du zu bescheiden«, erwiderte der Krieger. »Vielleicht hat die Göttin doch gerade dir ihren Beistand geschickt. Ich glaube nicht, daß Rondra sich um das schert, was aus einem Ogermaul herausgeblubbert kommt.«
Ein rötlicher Hauch war über Juniveras Züge gehuscht. Sie hob abwehrend die Hand. »So mußt du nicht sprechen. Wer weiß denn schon, wem von uns sie beistehen wollte; fest steht nur, daß sie uns ihr Wunder schickte.«
Larix, der das Gespräch stumm verfolgt hatte, zupfte mich am Ärmel. »Bist du ganz sicher, daß der Erdrutsch kein Zufall war?« fragte er leise. »Ich meine, bei einer solchen Wetterlage habe ich schon ganz andere Schlammlawinen niedergehen sehen ...«
Ich öffnete den Mund, um dem Zwerg zuzustimmen, aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Ich bin – wie man so sagt – nicht auf den Mund gefallen, doch ich sah noch immer Juniveras schlanke, unerschütterte Gestalt vor mir und den wandernden Berg, der sich über den gestürzten Oger schob, und ich wußte mit einem Mal nicht mehr, welche Antwort ich Larix geben sollte.
Die Dämmerung kam, und Mädchen und Viburn waren nicht zurückgekehrt. Es hatte keinen Sinn, im Dunkeln nach den beiden zu suchen. Den ganzen Abend
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