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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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die Hand und fuhr zögernd mit der breiten Klinge durch die Luft.
    »Danke«, sagte sie und fuhr sich mit dem Unterarm über Nase und Mund. Junivera wischte ihr mit einem Tuch über das Gesicht.
     
    Man muß die Toten betrauern, aber genausogut muß man essen. Erst als ich den ersten Bissen in den Mund stopfte, spürte ich, wie hungrig ich war, und mir fiel ein, daß ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Auch Mädchen und die anderen aßen wie hungrige Wölfe.
    Danach schlüpften wir unter unsere Decken. Niemand sagte ein Wort.
     
    Auch beim Frühstück herrschte tiefes Schweigen.
    »Das war's dann wohl.« Ich warf meinen Packen über die Schulter und nahm den Bogen in die Faust. »Ich kehre nach Havena zurück.«
    »Was soll das heißen?« polterte Larix. »Du kommst natürlich mit uns nach Kurkum.«
    »Ich wüßte nicht, was ich dort zu suchen hätte.«
    Elgor sah mich an. »Du hast einen Freund verloren. Das verstehe ich. Aber ich begreife nicht, was sich dadurch geändert hat. Wir mußten damit rechnen, daß nicht jeder von uns das Ziel erreicht.«
    Ich setzte meinen Packen noch einmal ab. »Ich bin nur Viburn zuliebe mitgekommen. Ihr seid nicht meine Freunde, und eure Amazonenkönigin kümmert mich einen Dreck.«
    »Wir brauchen dich«, sagte Junivera. »Du weißt, daß wir uns im Wald nicht auskennen.«
    »Ach was, ihr kommt schon allein zurecht. Außerdem kann Mädchen euch helfen. Sie ist doch im Wald zu Haus.«
    Ich begegnete Mädchens Blick. Ihre Augen wurden schon wieder feucht. Schnell wandte ich mich ab.
    Elgor trat dicht an mich heran und legte mir die Hand schwer auf die Schulter. »Es tut mir weh, daß du mich nicht für deinen Freund hältst«, sagte er mit rauher Stimme. »Ich sehe in dir schon lange einen Freund. Du sagst, du bist nur wegen Viburn mit dabei. Nun, mein Freund, dann laß mich dir eine Frage stellen: Es war Viburns Aufgabe, uns nach Kurkum zu führen. Dabei hat er sein Leben gelassen. Wenn wir Kurkum nicht finden, wäre sein Tod völlig sinnlos gewesen. Willst du das auf dich nehmen?«
    ›Immer das gleiche Kriegergewäsch, leeres Stroh‹, hätte Viburn an meiner Stelle gesagt. Das weiß ich genau. Aber ich erwiderte mannhaft Elgors Blick und sagte: »Na schön, Krieger, du hast mich erwischt.«
    Elgor strahlte mich an. Hätte ich ihm sagen sollen, daß seine schöne Rede mich völlig kalt gelassen hatte, daß meine Entscheidung schon vorher gefallen war? Der Blick aus Mädchens Augen hatte genügt.
     
    Die Trollzacken lagen weit hinter uns, und vor uns mußte irgendwo das weite Tal des Randrom beginnen, aber wir sahen weder die Berge noch die Flußniederungen, sondern nur Bäume, seit zwei Tagen nichts als Buchenstämme. Wo die Buche hinkommt, läßt sie keinen anderen Baum neben sich gedeihen. Wenn sie jung ist, braucht sie weniger Licht als die meisten anderen Pflanzen. Sie kann unter den Kronen so mancher Baumart prächtig wachsen. Dann beginnt sie sich zu entfalten. Bald hat sie die Bäume, unter deren Blätterdach sie die ersten zwanzig, dreißig Jahre verbrachte, weit überholt und breitet nun ihrerseits ihre mächtige Krone aus. Alle Pflanzen rings um sie her stehen im Schatten, abgeschnitten von Praios' lebensspendenden Strahlen. Sie verlieren ihre Blätter und sterben. Die Buche deckt sie zu, mit ihrem harten, langsam verwesenden Laub.
    Zwischen den Buchenstämmen ist viel leerer Raum, nur hier und da gedeiht Holderbusch und wachsen ein paar Stechpalmensträucher. Jedes Wild sieht den Jäger lange bevor er einen Pfeil einlegen kann. Mir war alle Jagdlust vergangen. Mädchen lieh sich hin und wieder meinen Bogen aus, aber sie hatte auch nicht mehr Glück als ich.
    In meinem Leib knurrte ein hungriges Tier.
    »Oh, das ist gefährlich«, sagte Larix, der das Geräusch gehört hatte.
    »Was soll daran gefährlich sein?« fragte ich.
    »So kann nur jemand fragen, der keine Ahnung von heilkundlichen Dingen hat«, stellte Larix fest. »Du weißt eben nicht, was in deinem Körper vor sich geht. Drum will ich dir erzählen, was mir ein großer Anatom, ein Mann aus dem Hesindetempel in Nostria, berichtet hat. Wußtest du, das du einen großen Beutel im Leib trägst, in den alles Essen gelangt?«
    Ich sah ihn mißtrauisch von der Seite an. »Willst du mich auf den Arm nehmen? Du redest vom Magen, das weiß doch jedes Kind.«
    »Und was tut der Magen?«
    »Du fällst mir auf die Nerven – er verdaut.«
    »Wie geht das – verdauen?«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Nun, siehst

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