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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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gesprochen.«
    Ich stieß einen Seufzer aus. »Und dennoch, man kann glauben, daß man die Wahrheit sagt, und trotzdem etwas Falsches behaupten. Wenn Du mir erzählst, du seist zwei Jahre alt, dann mag es sein, daß du mich nicht belügen willst, aber die Wahrheit ist es trotzdem nicht: Du siehst aus wie jemand, der achtzehn Sommer und Winter erlebt hat. Du bist ein sehr großes Kind.«
    »Was ist das, ein Kind? «
    Ich warf ihr einen mißtrauischen Blick zu. Machte sie sich etwa über mich lustig? Eben hielt sie mir noch einen Vortrag über die Wahrheit und nun gab sie vor, ein so schlichtes Wort wie ›Kind‹ nicht zu kennen? Aber in ihren Augen lag nicht eine Spur von Neckerei, nur die gewohnte, grenzenlose Wißbegier.
    »Ein Kind ist ein kleiner Mensch. Warst du denn niemals klein?«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst. Ich war immer so groß, wie ich heute bin. Ich bin doch kein Farnkraut, das in die Höhe schießt!«
    Da gab ich auf.
     
    Während unserer Fahrt waren wir einigen Reisegruppen und Fuhrwerken begegnet. Niemand hatte uns angesprochen, niemand hatte uns sonderlich beachtet. Allmählich begannen wir, uns sicherer zu fühlen. Als der Abend kam und wir einen Gasthof vor uns am Weg erblickten – eine Reihe kleiner Fenster im Obergeschoß ließ auf viele Schlafkammern und bequeme Betten schließen –, entschieden wir, unsere Tarnung auf eine ernsthafte Probe zu stellen. Nachdem wir, vorsichtig nach allen Seiten spähend, unsere Waffen, Rüstungen und ähnliche unbäuerliche Ausrüstungsteile in einem Gebüsch am Straßenrand versteckt hatten, fuhren wir zu dem stattlichen Anwesen hinüber. Wir zogen den Wagen hinters Haus, übergaben die Pferde einem Stallburschen und kehrten in der Gaststube ein. Der langgestreckte Raum empfing uns mit Essensduft und wohliger Wärme. Dicke, leicht gekrümmte Deckenbalken hingen tief über unsere Köpfe herab. Um diese Jahreszeit trifft man nicht mehr viele Reisende auf den Straßen, und der Schankraum des Fuhrmann mit seinen vielen Tischen und Bänken war fast leer. Nur an einem Ecktisch bei einem kleinen Fenster saßen zwei Männer, allem Anschein nach Knechte eines nahegelegenen Hofes.
    Der hagere, ein wenig düster dreinblickende Wirt wechselte ein paar Worte mit seinem Stallburschen, der kurz hinter uns den Raum betreten hatte, dann wischte er sich die Hände an der kurzen Schürze ab, setzte eine freundliche Miene auf und begrüßte uns. Nachdem er uns die Lager in unserem Gemeinschaftsquartier gezeigt und uns wieder in die Gaststube zurückbegleitet hatte, setzte er sich zu uns an den Tisch, um ein Gespräch zu beginnen. Es war gar nicht einfach, auf all seine neugierigen Fragen eine passende und freundliche Antwort zu finden.
    Von Mädchen schien der Wirt besonders gefesselt. Wir hatten unserem Findelkind eingeschärft, nach Möglichkeit zu niemandem zu sprechen und nur in Notfällen mit Ja oder Nein zu antworten. Mädchen befolgte unsere Anweisungen sehr genau, aber gerade ihre Einsilbigkeit ließ dem Wirt keine Ruhe. Er überschüttete sie geradezu mit bohrenden Fragen: Wo sie herkomme, wo sie geboren sei, wo sie hingehe, wer ihre Eltern seien, ob diese dem Wirt womöglich bekannt sein könnten und auch, ob sie selbst schon einmal im Fuhrmann gewesen sei.
    Die meiste Zeit antworteten wir an Mädchens Stelle, wobei sich Larix als besonders geschickt und einfallsreich erwies. Endlich kam eine Schar neuer Gäste herein, und der Wirt ließ von uns ab.
    Die Neuankömmlinge waren allesamt Straßenhändler. Das war an ihrer Kleidung und ihrer Sprache leicht zu erkennen. Sie trugen die bunt bestickten Mäntel der Norbarden, hatten alle das gleiche blauschwarze Haar und unterhielten sich in einem Kauderwelsch aus Norbardisch und Garethi. Wie sie dem Wirt erzählten, waren sie auf dem Weg von Beilunk nach Wehrheim, das sie noch vor den ersten schweren Schneefällen zu erreichen hofften.
    Die fahrenden Händler – drei junge Frauen, zwei junge und zwei alte Männer – sorgten rasch für eine ausgelassene Stimmung in der Schenke. Eine Frau und einer der Alten packten Bandurrias aus. Sie stimmten ein Lied an, und bald forderte der Wirt eine der jungen Frauen zum Tanz auf.
    Auch mich hielt es kaum auf meinem Stuhl. Die Musik war einfach, ein gewöhnliches norbardisches Tanzlied, aber ihr Rhythmus ging sofort in die Beine. Zu gern hätte ich getanzt, lieber noch selbst eines meiner Lieder gesungen. Mädchen schien nicht sehr musikalisch zu sein. Zwar sah sie die

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