Die Gabe der Amazonen
hinüber. Aus der strengen Frisur hatte sich eine dicke schwarze Haarsträhne gelöst und fiel ihr über das Gesicht. In ihrem Wollkleid klaffte ein Riß, der bis zum Nabel reichte. Die schweren Brüste hoben sich bei jedem Atemzug. Sie ergriff beide Messer, eines an der Klinge und eines am Griff, und kehrte zu der Frau zurück, die mit gesenktem Kopf in die Knie gesunken war. Sie warf ein Messer neben der Händlerin auf den Boden. »Heb es auf!« sagte sie leise. »Ich hoffe doch, du verstehst dich auf den Messerkampf. Es wäre gut für dich, denn nur eine von uns wird diesen Ort lebend verlassen!«
Ein Raunen ging durch die Schenke. »Ruhe! Ich bitt Euch, Ruhe!« war die unsichere Stimme des Wirtes zu vernehmen.
Die Frau griff zögernd nach dem Messer, rutschte über den Boden bis zu einer der dicken hölzernen Säulen und zog sich daran hoch. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und ihre Lippen bebten, während ihr Blick hilfesuchend in die Runde schweifte.
Juniveras Messer ruckte hoch, aber da stand plötzlich Elgor neben ihr. Er umklammerte Juniveras Handgelenk und hielt es in eisernem Griff. »Junivera!« raunte er mahnend, »Priesterin der Göttin! Gib Frieden, ich bitte dich! Siehst du nicht, daß sie fast stirbt vor Angst? Was willst du denn noch?«
Endlich öffnete die Geweihte ihre Faust, das Messer fiel klirrend zu Boden. Sie schüttelte heftig den Kopf, als ob sie sich mühte, aus einem tiefen Traum zu erwachen. »Es ist gut, Elgor«, sagte sie schließlich. »Laß mich los – ich werde sie verschonen, du hast mein Wort.«
Als Elgor ihre Hand freigegeben hatte, schüttelte sie wiederum den Kopf, so daß ihre langen Haare wehten. Dann griff sie hastig nach ihrem Kleid, um ihre Blöße zu bedecken.
Als einer der ersten hatte der Wirt die Fassung wiedergewonnen. »Aber holla!« rief er mit angestrengter Fröhlichkeit in der Stimme, »so kämpft keine Bäuerin!«
Junivera murmelte etwas, wandte sich ab und ging hinauf in unser Quartier. Ihre Gegnerin wankte mit unsicheren Schritten zu ihren Leuten zurück.
Wir blieben noch ein Weile an unserem Tisch sitzen – vor allem, um den Wirt und die Gäste zu beobachten. Aber keiner von ihnen verließ den Schankraum oder benahm sich so, als ob er einen Verdacht geschöpft hätte.
Schließlich stiegen auch wir in unseren Schlafraum hinauf. Während der Nacht teilten wir Wachen ein: Einer von uns saß ständig am halb geöffneten Fenster und achtete darauf, ob sich vielleicht jemand vom Gasthof entfernte, aber alles blieb still.
Yppolita kam es zwar merkwürdig vor, daß sie – wann immer sie ihr Pferd durch das Burgtor lenkte – dem hübschen blonden jungen begegnete. Aber sie beschloß, nicht über diese scheinbaren Zufälle nachzudenken, denn die Treffen bereiteten ihr ein großes Vergnügen. Einmal brachte sie ein reiterloses Pferd mit hinaus, um ihren Verehrer das Reiten zu lehren, ein anderes Mal forderte sie ihn auf einer Waldlichtung zu einem herzhaften Ringkampf heraus. Ulissa sorgte dafür, daß das Treiben der Königin am Amazonenhof nicht verborgen blieb. Sie richtete es so ein, daß sie mit einer Jagdgesellschaft dem sorglosen Paar begegnete, oder sie schickte die Schwertmeisterin aus, die Königin zu suchen, weil Yppolita eine dringende Entscheidung zu treffen hätte. Natürlich ergab es sich so, daß die Schwertmeisterin Hana ihre Königin in einer glühenden Umarmung mit dem jungen Bauern fand.
Hana liebte und ehrte ihre Königin sehr, aber sie konnte nicht länger mitansehen, wie Yppolita die Ehre des Königinnenhauses befleckte. Auf dem Rückweg zur Burg erhob sie mahnend ihre Stimme: »Verzeiht, meine Königin, wenn ich ungefragt das Wort an Euch richte – noch dazu wenn meine Rede euch ohne die gebührende Achtung erscheinen mag.«
»Aber Hana, was ist denn in dich gefahren? Warum so umständlich? Sprich nur frei heraus!«
Und Hana erzählte der Königin alles, was sie bedrückte. Sie hielt ihr vor, wie oft sie die Gebote verletzt hatte, an die sich auch eine Herrscherin halten mußte. Yppolita erschrak zutiefst. Zwar hatte sie die Ausflüge mit dem jungen Mann sehr genossen, aber vor allem wollte sie den Amazonen eine gute und verehrungswürdige Königin sein. Sie sagte: »Ich werde ihn nicht wiedersehen, Hana. Das verspreche ich dir!«
Tatsächlich ritt sie in den nächsten Tagen nicht aus. Doch ihre Einsicht kam zu spät. Ulissas Plan war schon zur Hälfte aufgegangen. Der Rest war ein Kinderspiel: Sie
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