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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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freiwillig einen Schritt zu Fuß gehen wollte – aber jetzt fragte ich mich, ob dies wirklich ein guter Plan gewesen sei. Ich ging in die Hocke, um die Stöße besser abfangen zu können.
    Dabei hatte ich vor vielen Jahren schon einmal tage-, nein mondelang auf so einem rumpelnden Frachtwagen gesessen. Eigentlich hätte ich die Unbequemlichkeiten dieser Fortbewegungsart besser in Erinnerung behalten sollen. Damals stand ich in Diensten eines Weidener Fuhrunternehmers, eines hungrigen jungen Burschen, der gerade eben zwei Wagen sein eigen nannte, aber immerzu davon sprach, daß der Name ›Kohlenbrander‹ einmal auf allen Straßen Aventuriens bekannt werden würde. Einen lumpigen halben Taler am Tag zahlte mir der junge Gorge, damit ich mit einem Bogen hinten auf seinem Wagen hockte und nach ›lumpigem Raubgesindel‹ Ausschau hielt. Kreuz und quer durch Weiden, Greifenfurt und Albernia führten unsere Fahrten. Mein Lohn reichte nicht zum Sterben und nicht zum Leben, und auf meinem Hintern wuchsen Schwielen.
    Als wirklich einmal Räuber kamen – das war an einem strahlend schönen Traviatag – war ich zwischen lauter stinkenden Pökelfässern eingeschlafen. Plötzlich stand der Wagen still, und ringsumher gab es ein ungeheures Gelärme und Gebrülle. Ich suchte nach meinem Knüppel, sprang über die Bordwand und warf mich ins Getümmel, aber Gorge und die Fuhrleute mit ihren klobigen Dolchen und tückischen Peitschen hatten die Sache schon für sich entschieden. Nach allen Seiten rannte das Räubergesindel davon. »Los, Spitzohr!« brüllte Gorge mich an und zeigte auf einen davonhumpelnden Mann mit langem Zopf und einem großen, schwarzen Schlapphut. »Der ist verwundet! Schnapp ihn dir und bring ihn her, damit wir ihm Manieren beibringen können!«
    Obwohl der Schurke das rechte Bein nachzog, bewegte er sich schnell wie ein Eichhörnchen durch das Dickicht, und ich brauchte viele hundert Schritt, bis ich ihn eingeholt hatte. Ich tat einen langen Sprung, packte ihn an der Schulter und riß ihn herum – und wäre fast in ein langes Messer gestürzt, das genau auf mein Sonnengeflecht zielte.
    »Bei allen Zwölfen – du bist ja noch ein Kind!« keuchte der Schurke – und hatte mich damit zutiefst beleidigt. »Du könntest jetzt tot sein, Kleiner, und ich müßte mir ein Leben lang Vorwürfe machen ... Ja, bist du denn von Sinnen?«
    »Laßt mich mein Messer ziehen und stellt Euch zu einem ehrlichen Kampf!« erwiderte ich. »Dann wird sich ja zeigen, ob ich ein Kind bin ...«
    »Das hätte ich nicht sagen dürfen, was?« grinste der Fremde, traf aber keine Anstalten, meinem Wunsch zu entsprechen. Ohne das Messer sinken zu lassen, drängte er mich gegen einen Baumstamm. »Ist dies eigentlich ein Leben, das dir gefällt?« fragte er und musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen. »Auf einem ollen Karren zu hocken und in die Gegend zu glotzen?«
    »Ich wüßte nicht, was Euch das angeht«, erwiderte ich. »Es ist allemal besser als das Leben eines Räubers und Halsabschneiders.«
    »Wie willst du das beurteilen?« fragte der Strauchdieb; dann aber fuhr er fort: »Vielleicht hast du sogar recht, auf deine Weise. Gerade heute habe ich mich übrigens entschlossen, meinen Beruf aufzugeben. Ich denke, ich werde nach Elenvina wandern, wo meine reiche Tante wohnt. Willst du nicht mit mir kommen?«
    Ich schüttelte heftig den Kopf und wollte dem Schurken gerade sagen, daß ich auf so einen schurkischen Vorschlag niemals eingehen könnte, da schallte Gorges rauhe Stimme durch den Wald: »Spitzohr, wo steckst du? Hast den Schurken entkommen lassen, was? Habe ich nicht anders erwartet. Na los, beweg deinen faulen Elfenarsch zum Wagen – wir haben nicht den ganzen Tag Zeit! Übrigens – den Lohn für diese Woche kannst du getrost vergessen!«
    »Wie weit ist es nach Elenvina?« fragte ich den Mann mit dem Zopf, der seinen Dolch inzwischen sinken gelassen hatte.
    »Zwei, drei Tagesmärsche«, erwiderte er, »aber erst einmal muß jemand mein Bein verarzten ... Ich hoffe doch, du verstehst dich ein wenig auf die Heilkunst?«
    »Ich heiße übrigens Viburn«, stellte er sich vor, als ich ihm später einen notdürftigen Verband um die Stichwunde im Oberschenkel wickelte. »Und hör endlich damit auf, ständig ›Ihr‹ zu mir zu sagen. Wir reisen doch jetzt zusammen, da ist so eine schnörkelige Ausdrucksweise auf die Dauer zu umständlich.«
    Seit jenem schönen Traviatag habe ich viel Zeit mit Viburn verbracht – und ihn viele

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