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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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begab sich heimlich zu einem Kräuterkundigen. Der Mann war klein von Statur, nicht größer als ein Kind, aber ein Meister im Bereiten von Pulvern und Mixturen. Nach einer langen Feilscherei – Ulissa mußte schließlich nicht nur das Pulver, sondern auch die Verschwiegenheit des kleinen Mannes bezahlen – hielt sie das Pulver in Händen, wie sie es benötigte: schnell wirksam und völlig geschmacklos. Sie hatte ihren Lieblingsring dafür gegeben, einen in Gold gefaßten Bernstein, in dem ein kleiner Perainekäfer gefangen war.
    Beim Nachtmahl kippte Ulissa der Königin das Schlafpulver in den Wein. Yppolita wurden die Lider schwer, kaum daß sie den Becher geleert hatte. Die Schwester führte sie hinauf in die Schlafkammer, war ihr beim Auskleiden behilflich, half ihr, ins Bett zu steigen, und wartete ab, bis sie eingeschlafen war. Dann lief sie in den Stall, sattelte ihr Pferd und ritt zu dem Hof, auf dem der junge Bursche zu Hause war. Sie klopfte an sein Fenster. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Junge vor ihr stand.
    »Was wünscht du dir mehr als alles auf der Welt?« fragte sie ihn.
    Der Junge senkte den Kopf und schwieg.
    »Nun, du brauchst es mir gar nicht zu sagen – ich weiß es auch so. Nun hör mir gut zu. Die Königin schickt mich zu dir. Sie will dir heute nacht deinen Wunsch gewahren. Sie wartet in ihrem Schlafgemach auf dich.« Ulissa senkte ihre Stimme. »Du weißt, daß sie dich dort eigentlich nicht empfangen darf, nicht wahr? Darum wird die Königin sich schlafend stellen und so tun, als ob sie dich gar nicht bemerkt, wenn du ihr Zimmer betrittst. Du darfst nicht zu ihr sprechen. Das ist ihr Wunsch. Aber du darfst dich schweigend zu ihr legen.«
    Der Junge nickte heftig mit dem Kopf. »Ich will alles genauso tun, wie sie es wünscht.«
    Schließlich beschrieb Ulissa ihm noch, wie er durch eine geheime Pforte in den Palast gelangen konnte.
    Nachdem sie wieder zum Palast zurückgeritten war, setzte sie sich ans Fenster und wartete. Nach einer kurzen Weile schon sah sie, wie der Junge die Burgmauern überkletterte und im Schatten des Wehrganges zur Nebenpforte schlich. Ulissa lief in Hanas Zimmer und rüttelte die Schwertmeisterin wach. »Schnell Hana, komm mit mir! Ich habe im Gemach der Königin verdächtige Geräusche gehört.«
    Sie weckten noch zwei Offizierinnen und liefen zum Schlafzimmer Yppolitas. Ulissa stieß die Tür auf und stürmte vor. Die drei Offizierinnen folgten ihr mit gezogenen Waffen. Zwei Amazonen hatten Fackeln in Händen. Das flackernde Licht fiel auf das Lager der Königin und auf die schandbare Nacktheit der Menschen, die dort lagen. Eben hob die Königin benommen, berauscht den Kopf. Der junge Bursche fing vor Schreck zu schreien an. Ulissa sprang vor und stach ihm das Schwert mitten ins Herz. »Du ruchloser Hund! Was hast du meiner Schwester angetan!« rief sie dabei mit einer Stimme voller Verzweiflung.
    Hana hatte Tränen in den Augen. Sie griff nach Yppolitas Schwertgehänge, zog die Klinge heraus und brach sie über dem Knie entzwei. Dann sprach sie die Worte, die ihr nach dem Gesetz als der ältesten Offizierin in der Burg zustanden:
    »Die Amazonen haben keine Königin mehr.
    Wer wird nun Königin in Kurkum sein?«
    Ulissa trat vor, nahm Hana die zerbrochenen Schwerthälften aus der Hand, fügte sie zusammen und sagte:
    »Ich.«
     
    Larix hatte den Wagen angehalten. Wir standen auf einer Anhöhe und sahen ins Radromtal hinab.
     
    Nicht, daß ich Beilunk lassen muß,
    macht mir das Herze schwer –
    Ich denk an Aylas heißen Kuß,
    Ayla, du fehlst mir sehr.
    Beilunk, leb wohl, du Perle im Radromtal.
    Für Aylas heißen Kuß
    tausch ich dich tausendmal.
     
    Beilunk – Perle des Radromtals. Wer immer der Stadt diesen Beinamen verliehen hatte, er hatte sie gewiß nicht – so wie wir – in der Zeit zwischen Herbst und Winter betrachtet. Beilunk liegt an der Mündung des Radrom in einem weiten Tal. Die Stadt war auf einem flachen Hügel errichtet worden, der zum Meer und zum Hafen abfällt. Saftige grüne Wiesen und fruchtbare Äcker ziehen sich an beiden Ufern des Radrom entlang und legen sich in einem breiten Ring um die Stadt. Das flache, tiefe Land wird von mehreren hoch aufgeschütteten Straßendämmen durchschnitten, die strahlenförmig wie die Speichen eines Rades in der Stadt zusammenlaufen.
    Zur Zeit der Bedonblüte, wenn das Land um Beilunk flammend gelb leuchtet, soll der Blick auf die Radrommündung unvergleichlich sein ...
    Im Spätherbst

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