Die Gabe der Amazonen
aber blüht kein Bedon. Die Felder liegen brach, der Radrom verläßt sein Bett, und seine lehmgrauen Wasser wälzen sich übers Land. Umgestürzte Bäume, in deren Zweigen verfilztes Treibgut hängt, und aufgetriebene, steifbeinige Tierkadaver prägen das Bild. In der Ferne verschmilzt der graue schwere Himmel mit dem endlosen Meer. Dort liegt der Golf von Perricum. Ebenso grau und trostlos wie Land und Wasser ringsumher erhebt sich auch die ›Perle des Randromtals‹ über den breiten trägen Fluß. Die roten Ziegeldächer der Häuser haben ihre leuchtende Farbe verloren. Nicht einmal die goldene Kuppel des Praiostempels, die hoch über alle anderen Häuser ragte, erstrahlt in dem vielgepriesenen Glanz.
Keiner von uns hatte Beilunk schon einmal gesehen, aber alle kannten wir das alte Lied von Aylas heißem Kuß, und so hatte sich in uns eine gewisse Vorstellung von der ›Perle des Radromtals‹ gebildet. Nun waren wir enttäuscht. Nur Mädchen starrte mit offenem Mund zu der fernen Stadtmauer hinüber. Aufgeregt zeigte sie uns die winzigen Fuhrwerke auf der Radrombrücke und die Fischerboote auf dem Golf. Am liebsten wäre sie sofort zur Stadt hinübergelaufen, aber unser Plan sprach dagegen: Junivera, Larix und Elgor sollten mit Bauer Harmes Wagen zur Stadt fahren, geradewegs über die Radrombrücke. Mädchen und ich sollten einen weiten Bogen durch den Wald schlagen und über eine andere Straße nach Beilunk marschieren. Tatsächlich gab es weiter südlich einen zweiten Weg, der am Radrom endete. Von dort sollte man den Fluß mit einer Fähre überqueren können. Wenn wir in zwei Gruppen aufgeteilt in die Stadt eindrangen, wäre unsere Tarnung nahezu vollkommen. Nicht einmal die gerissensten Kopfgeldjäger könnten einen Verdacht schöpfen. Als wir unseren Plan faßten, hatte Mädchen keine Einwände erhoben. Aber nun wurde ihr klar, daß sie erst am Abend in dieser verheißungsvollen Stadt eintreffen würde, während der Wagen mit unseren Gefährten schon in wenigen Stunden durch das Stadttor fuhr. Mädchen war kaum zu trösten, und als wir ihr nun auch noch verboten, Juniveras auffälligen Priesterinnenmantel beim Einzug in die Stadt anzulegen, sank ihre Laune in trostlose Tiefen. Sie sprach nicht mehr mit uns.
Ich verabschiedete mich von Junivera und den anderen. Elgor schenkte mir ein paar Silbertaler und einen Dukaten. Davon sollte ich in Beilunk Unterkunft und Verpflegung für Mädchen und mich bezahlen. Außerdem mußte ich Mädchen unbedingt ein paar gewöhnliche, unauffällige Kleidungsstücke beschaffen. Ihr kurzes Fellgewand sah zwar auf seine Weise sehr reizvoll aus, war aber fast so auffällig wie Juniveras Geweihtenumhang. Nachdem Mädchen eine Stunde lang stumm an meiner Seite durch den Wald gestapft war, erzählte ich ihr von meinem Einkleidungsplan.
Sofort war ihr Schweigen gebrochen.
»Was für ein Kleid kaufst du mir?«
»Hm ... ein grünes vielleicht?«
»Ich möchte ein rotes – mit goldenen Eulen!«
Elgor trug eine goldene Brosche, die mit einem Eulenkopf verziert war. Dieses Schmuckstück hatte es Mädchen angetan.
»Ich werde sehen, was sich tun läßt.«
»Und schwarze Stiefel – bis hierher.« Sie zeigte auf eine Stelle auf ihrem Oberschenkel. Viburn hatte solche hohen Stulpenstiefel getragen.
»Und eine weiße Schürze!« (Die hatte sie beim Wirt des Fuhrmann gesehen) »Und einen Hut mit einer langen Feder.« (So einen Hut hatte einer der Straßenhändler getragen.)
Froh darüber, daß Mädchens Laune sich so schlagartig aufgehellt hatte, erhob ich gegen keinen ihrer Wünsche modische Bedenken. Ich versuchte vielmehr, ein paar eigene Vorschläge beizusteuern, erweckte aber wenig Begeisterung.
Auf unserem Weg durch den Wald sprang Mädchen immer ein paar Schritte vor mir her. Als wir nach ein paar Stunden endlich die Straße nach Beilunk erreichten, war sie kaum noch zu halten. Mir war das hohe Tempo recht, denn der Abend dämmerte schon, und wir konnten nicht darauf hoffen, den Fährmann nach Einbruch der Nacht noch zu einer Fahrt über den Fluß zu überreden.
Tatsächlich wollte das kleine Boot eben ablegen, als wir den Steg erreichten. Ich zahlte den weit überhöhten Fahrpreis, ohne lange zu feilschen. (Bei der letzten Fahrt lohnt sich das Handeln nicht: Wer übergesetzt wird, ist einfach in der schlechteren Lage.)
Der Fährmann übernahm das Ruder am Heck, zwei junge Männer saßen an den Riemen und ruderten gemächlich auf den Fluß hinaus. Außer Mädchen und
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