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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Wirt hatte ein Bett für uns – zu einem niedrigen Preis –, und er trug sogar ein schmackhaftes Essen auf. Es nannte sich ›Botschek‹, bestand aus roten Bohnen und Fleisch und wurde auf einem dicken harten Fladen serviert. Die anderen Gäste verfütterten dieses eßbare Servierbrett an einen Hund, oder sie schenkten es einer Bettlerin, die von Tisch zu Tisch humpelte. Ich gab ihr meines und sah zu, wie sie es in einen Sack stopfte, nur bei Mädchen hatte sie kein Glück. Meine Begleiterin hatte ihren Fladen restlos verspeist.
     
    Wir waren die einzigen Übernachtungsgäste in der Taverne und konnten uns im großen Schlafraum ein Bett aussuchen. Die Wahl fiel mir nicht leicht, denn alle Betten waren gleichermaßen kurz, klamm und schmutzig. Doch nachdem Mädchen unter meine Decke geschlüpft war, hatte ich die Unzulänglichkeiten meiner Schlafstatt rasch vergessen. Eigentlich mag ich keine großen Frauen, oder vielmehr, eigentlich hatte ich – bis ich Mädchen kennenlernte – immer gedacht, ich würde keine großen Frauen mögen. Die Nächte mit Mädchen änderten meinen Sinn. Nie werde ich ihren Körper vergessen, der sich warm und fest an den meinen schmiegte, vom Kopf bis zu den Füßen berührte mich ihre glatte Haut. Mädchen schloß, während wir beisammen waren, niemals die Augen. Immer wenn ich meine Lider öffnete, sah ich im Dunkel das Schillern ihrer Augäpfel. Ihr Blick war ernst und aufmerksam ...
    Am Morgen erwachte ich herrlich erquickt. Ich fühlte mich kräftig und unternehmungslustig, meine Haut war lange nicht so zerstochen, wie ich es befürchtet hatte. Ich schaute zur Seite, doch der Platz neben mir war leer. Erschreckt fuhr ich hoch, da sah ich Mädchen vor dem Bett auf dem Boden liegen. Sie hatte sich in eine Decke gewickelt und atmete ruhig und gleichmäßig.
    Ich trat ans Fenster und schaute hinab in die dämmrigen Gassen. Trotz der frühen Stunde herrschte dort unten schon ein buntes Gedränge. Lastträger schleppten schwere Säcke vom Hafen herauf, Karrenräder knarrten. Das Gebrüll der Fuhrleute erfüllte die Luft. Durch das Gewühl schaukelte eine üppig verzierte Sänfte heran. Augenblicke später rollte die Meute ineinander verknäuelt über den Boden – im verbissenen Kampf um ein paar Münzen, die eine zierliche Hand aus dem verhängten Seitenfenster gestreut hatte.
    Ich wandte mich um. Mädchen war eben dabei, den Gürtel um ihr Fellgewand zu zurren. Auf einem kleinen Tisch neben dem Fenster standen eine flache Schüssel und eine große Wasserkanne. Ich erklärte Mädchen, wozu man diese Dinge benutzen konnte, und sie sprengte sich hastig ein paar Tropfen Wasser ins Gesicht.
    Wir gingen hinunter, um zu frühstücken. Es gelang mir nicht, den Wirt in ein Gespräch zu ziehen. Der Mann war es gewohnt, vor Fremden seine Zunge im Zaum zu halten, das merkte ich ihm an. Also gab ich meine Bemühungen auf. Mit jeder meiner Fragen verriet ich ihm mehr, als ich jemals von ihm erfahren würde. Immerhin wußte er ein Geschäft, wo man Frauenkleider kaufen konnte, einen Laden im Hafenviertel natürlich. Auf die Idee, uns zu einem Schneider in der Oberstadt zu schicken, kam der Wirt gar nicht erst.
    Nachdem wir unsere Zeche gezahlt hatten, nahm ich Mädchen bei der Hand, und wir traten hinaus auf die Straße. Hier war das Gedränge noch dichter geworden. Unter den vielen zerlumpten Gestalten fiel Mädchen in ihrer Barbarentracht kaum auf. Nur hin und wieder blieb jemand stehen, um sie mit offenem Mund anzustarren. Mädchen ihrerseits schaute jedem Vorübergehenden so aufmerksam ins Gesicht, als ob sie sich vergewissern wollte, ob er nicht ein alter Bekannter sei, den sie nur nicht auf Anhieb erkannt hatte. So schlenderte sie, hin und wieder den Kopf einziehend, unter den vorspringenden, niedrigen Dächern hindurch, ihre Hand lag stets auf dem Griff des Goblinsäbels, den sie hinter den Gürtel gesteckt hatte. »So viele Menschen«, sagte sie immer wieder. »Wo kommen sie nur alle her – und wo gehen sie hin?«
    Ich machte keinen Versuch, ihr das Verhalten der Beilunker Hafenarbeiter und Kleinhändler zu erklären – ich habe mich selbst oft genug gefragt, was diese Leute, die sich tagaus tagein zwischen Schlafen und Arbeiten bewegten, am Leben hielt.
    Endlich fanden wir den Trödler, den uns der Wirt empfohlen hatte. In dem engen dunklen Laden gab es alles – oder fast alles – zu kaufen, was die Provinzen des Neuen Reichs zu bieten haben: Ausgetretene Schuhe aus maraskanischem

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