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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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halbschalige Ausbuchtungen auf, und zwischen diesen und den kreisförmigen Manschetten, die die Reiterinnen um die Hälse trugen, blitzte die helle, weiche Haut ihrer Brüste hervor. Vielleicht wäre mir dieser Anblick zu anderen Zeiten nicht zuteil geworden, aber heute riß der gnadenlose Seewind die langen, blauen und roten Umhänge zur Seite, so daß sie wie Fahnen um die Schultern der Frauen flatterten. Auf dem Kopf trugen die Reiterinnen blinkende Helme mit einem Schmuck aus rotem oder schwarzem Pferdehaar, das ebenfalls vom Wind zerzaust wurde. Halbkreisförmige, kleine Schilde waren an den Sätteln befestigt, ebenso reich verziert wie die breiten Sattelköcher, in denen Kurzbögen und Pfeile steckten.
    Der Wind fauchte weiter wütend über den Platz und trieb Regentropfen und kleine Eisstückchen fast waagerecht vor sich her, aber die Frauen schienen den Sturm gar nicht zu bemerken. Auch ich hatte die Kälte fast vergessen. Gedankenverloren betrachtete ich die nackten, rotgefrorenen Schenkel der Reiterinnen, die die Pferde mit sicherem Druck über das glatte Pflaster lenkten, ohne Eile, als gälte es, in einer milden Brise einen südlichen Strand zu überqueren.
    Als es mir in den Sinn kam, daß ich soeben die legendären Amazonen beobachtet hatte (oder zumindest einen Zug von ihnen oder einen Trupp oder wie immer sie das nennen mögen), da war die Schar schon vor dem Haus mit dem schwarzen Bären abgesessen. Zwei Frauen nahmen die Pferde zusammen und führten sie durch ein Hoftor, die anderen gingen durch die Eingangstür. Ohne lange zu überlegen, lief ich quer über den Platz. Vor der Tür des Schwarzen Bären strich ich rasch meinen Umhang glatt und brachte mein zerwühltes Haar notdürftig in Ordnung. Nachdem ich einmal kurz durchgeatmet hatte, stieß ich die Tür zur Schankstube auf. Weder der Wirt noch die Gäste beachteten mich. Aller Augen beobachteten die Gruppe der Reiterinnen, die sich unter Rüstungs- und Waffengeklirr soeben an einem großen runden Tisch im rückwärtigen Teil der Schankstube niederließ. Möglichst unauffällig schlenderte ich zu einem kleinen unbesetzten Tisch ganz in der Nähe der Amazonen. Von dort warf ich einen flüchtigen Blick auf den Wirt, aber dessen Aufmerksamkeit wurde weiterhin ganz von den Kriegerinnen in Anspruch genommen. Nachdem er jede einzelne von ihnen mit einem Händedruck begrüßt hatte, nahm er ihre Bestellungen entgegen.
    Die kriegerischen Frauen hatten unterdessen begonnen, es sich gemütlich zu machen: Sie stellten die schweren Helme unter den Stühlen ab und schüttelten die vom Gewicht des Kopfschutzes niedergedrückten Haare aus. Der Wirt, den sie bei seinem Vornamen, Ulfried, nannten, nahm ihnen die langen Umhänge fort, um sie irgendwo zum Trocknen aufzuhängen. Währenddessen zogen die Frauen die eisernen Manschetten von den Unterarmen und rieben sich verstohlen die nackten Schultern und die klammen Schenkel. Es beruhigte mich, sie bei diesen menschlichen Gesten beobachten zu können – immerhin schienen sie doch aus Fleisch und Blut zu bestehen. Andererseits fühlten sie sich im Schwarzen Bären offenbar wie zu Hause, sonst hätten sie sich kaum so gegeben.
    Inzwischen hatte Ulfried seine weiblichen Gäste mit großen irdenen Krügen versorgt. Die Amazonen stießen die Humpen über der Tischmitte polternd zusammen, jede von ihnen nahm einen langen, tiefen Zug und stellte den Krug erst dann auf den Tisch zurück, als sie einen herzhaften Rülpser ausgestoßen hatte.
    Endlich war Ulfried aufgefallen, daß außer den Amazonen noch ein neuer Gast sein Lokal betreten hatte. Er musterte mich lange und mißbilligend, entschloß sich aber schließlich doch, mich nach meinem Wunsch zu fragen.
    »Einen Becher von dem, was die Damen dort trinken«, erwiderte ich.
    »Die Damen«, belehrte mich der Wirt, »trinken ein Bier, das ich nur für sie bereithalte. Für Euch dürfte doch wohl ein Becher aus meinem gewöhnlichen Faß genügen?«
    »Ja doch, gewiß.« Mir war nicht nach einem Streit zumute.
    Während Ulfried mein Bier holte, hatte ich Gelegenheit, mich in der Schankstube umzuschauen. Es war nicht eben ein ›feines‹ Lokal, aber immerhin sah alles hier teurer aus als in den Schenken, die Viburn und ich sonst bevorzugten. »Warum soll ich einen Silbertaler ausgeben, um in feiner Gesellschaft zu trinken«, so lautete Viburns Devise, »wenn ich mich anderswo für einen Heller schneller und gründlicher besaufen kann?« Die Gäste im Schwarzen Bären

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