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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Ich wollte aufstehen, aber der Dicke stieß mich zurück, umklammerte mein Bein und fing an, an meinem Stiefel zu zerren. Wohl oder übel mußte ich ihn gewähren lassen, denn meine Glieder waren so steif, daß ich mich kaum zur Wehr setzen konnte. Auch wollte ich unsere eben gegründete Freundschaft nicht schon wieder aufs Spiel setzen. Schließlich durfte ich mich aufrichten, trat von einem Fuß auf den anderen, während sich meine Fußlappen allmählich mit Wasser vollsogen, massierte meine Handgelenke und sah dem dicken Goblin dabei zu, wie er meine Zwölf-Silbertaler-Stiefel unschlüssig in den Klauen drehte. Eigentlich hätten wir einander nun Lebewohl sagen können, doch mir kam plötzlich eine gute Idee.
    ›Also, meine Herren‹, setzte ich an, ›ihr wart wirklich sehr großzügig zu mir. Darum will ich euch zum Abschied auch eine Freundlichkeit erweisen, zum Ausgleich für die verlorenen Dukaten gewissermaßen. Da ihr mir die Stiefel sowieso abgenommen habt, sollt ihr wissen, daß in einem von ihnen ein kleiner Schatz verborgen ist. Nichts Besonderes, nur ein Ring, aber immerhin fünf Dukaten wert.‹
    Sofort wurde dem Dicken ein Stiefel entrissen. Alle drei Goblins gingen daran, die Stiefel auf den Waldboden zu schlagen, mit den Händen in die Schäfte zu fahren und mit den Fingernägeln die Nähte aufzubiegen.
    ›Halt, halt!‹ rief ich. ›So zerstört ihr sie nur. Der Ring steckt im Absatz des rechten ...‹
    Schnell hatten die Goblins den rechten Stiefel, und der Dicke war schon dabei, sein albernes Küchenmesser unter den Absatz zu treiben.
    Ich trat zu ihm hin. Er preßte den Stiefel an die Brust und hob das Messer. ›Schon gut, schon gut‹, beschwichtigte ich ihn, ›ich will dir ja nur etwas zeigen. Hier, siehst du die Nägel im Absatz? Du mußt nichts weiter tun, als mit einem kleinen Zweig auf diesen Nagel hier zu drücken und ...‹
    Ein anderer Goblin sprang mit einem Zweiglein herbei, der Dicke riß es ihm aus der Hand und drückte mit einem Ende auf den Nagel. Nichts geschah. Er starrte mich finster an.
    ›... und ein bestimmtes Zauberwort zu sprechen‹, beendete ich meinen Satz.
    ›Wie heißt das Wort?‹
    ›Es ist ein Elfenwort, ganz leicht auszusprechen. Es lautet: Lel. Ach halt, Moment! Das hätte ich fast vergessen: Ich darf das Wort nur einem Häuptling sagen, sonst wirkt es nicht.‹ Die drei tauschten ratlose Blicke. ›Wir haben aber keinen Häuptling‹, sagte einer.
    Ich wandte mich an meinen speziellen Freund: ›Ich dachte, du seist der Häuptling ... Du trägst einen Häuptlingshelm, oder?‹
    ›Stimmt!‹ rief er strahlend, während gleichzeitig die beiden anderen krakeelten: ›Trachjaz, unser Häuptling? Niemals!‹«
    Viburn hob das rechte Bein und warf einen wohlgefälligen Blick auf seinen Fuß. »Wie du siehst, habe ich meine Stiefel zurückbekommen, außerdem noch diesen recht brauchbaren Säbel samt Scheide. Die Burschen waren so mit sich beschäftigt, daß sie nicht einmal meinen Abschiedsgruß erwidert haben. Leicht hätte ich sie alle drei niederstechen können, aber das hätte mir keine Freude gemacht. Außerdem waren sie – alles in allem – keine üblen Leute.«
     
    Während Viburn und ich unsere Erlebnisberichte austauschten, hatten wir nach und nach den gesamten Kerzenvorrat des Wirtes aufgebraucht. Natürlich war es verschwenderisch, all die teueren Lichter, die wir in einem Schrank entdeckt hatten, niederzubrennen – wir hätten unsere Geschichten ebensogut im Dunkeln erzählen können –, aber ich war über Viburns Wiedergeburt so beglückt, daß ich ihn immer wieder ansehen mußte. Vielleicht mochte es ihm ähnlich ergangen sein. Eben war wieder eine Kerze ein letztes Mal aufgeflackert, aber diesmal zündeten wir keine neue mehr an. Der matte Schein der Morgendämmerung fiel ins Zimmer, und durch die Fenster drangen seit einiger Zeit schon die üblichen Geräusche einer erwachenden Stadt.
    Viburn beendete rasch seine Erzählung: Er war eine Weile im Wald umhergeirrt, bis er durch eine glückliche Fügung auf die Reichsstraße nach Beilunk stieß. Dort hatte ihn ein Kutscher aufgenommen, ein freundlicher Mann, der eine leere Reisekutsche nach Beilunk überführte. Gemeinsam waren sie im Fuhrmann eingekehrt, wo Viburn unsere Spur wieder aufnehmen konnte: »Wie ich hörte, hat sich unsere Junivera dort eine Blöße gegeben – eine sehr eindrucksvolle Blöße, wie ich den Handzeichen des Wirts entnehmen durfte.« Viburn umspannte mit den Händen

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