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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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saßen auf geschnitzten Stühlen, sie aßen von glasierten, irdenen Tellern und hantierten mit Bestecken aus blinkendem Metall, nicht etwa mit hölzernen Löffeln. Auf mehreren Tischen standen Kerzenleuchter aus Messing, und Ulfried spülte tatsächlich die Bierbecher in einem hölzernen Zuber, bevor er sie an neue Gäste austeilte. Hier mochte ein Bier leicht zwei Heller kosten. Mit einem unbehaglichen Gefühl betastete ich meinen ausgemergelten Brustbeutel – nun gut, ich mußte mich eben so lange wie möglich an meinem Becher Bier festhalten.
    An einem Stützbalken jenseits der Theke entdeckte ich unseren Steckbrief. Zwar konnte ich die Schrift nicht entziffern, aber die fünf Köpfe waren deutlich zu erkennen. Man hatte uns von der Seite dargestellt, vier Männer und eine Frau. Da es sich bei dem Blatt um keine Originalzeichnung, sondern um einen Holzschnitt handelte, konnte man annehmen, daß unsere Konterfeis auch anderswo ausgehängt waren. Zum Glück hatte nicht gerade eine meisterliche Hand den Stichel geführt: Die Bilder waren uns so ähnlich wie irgendeinem anderen Aventurier. Immerhin konnte ich erkennen, daß Larix als erster von links abgebildet war (ein Koloß von einer Nase ragte fast über den Rand des Blattes hinaus), und auch der zweite Kopf von rechts wies ein markantes Kennzeichen auf: eine Ohrmuschel, die sich weit über die Schädeldecke erhob und jedem Unauhasen zur Zierde gereicht hätte. Unwillkürlich tastete ich unter den Haaren nach meinem Ohr. Nein, der Holzschneider hatte wirklich stark übertrieben!
    Während ich meine Beobachtungen anstellte, versuchte ich, so viel wie möglich von den Gesprächen am Nebentisch aufzuschnappen, aber die Unterhaltung der Kriegerinnen war kaum reizvoller als die anderer Kriegsleute auch. Sie drehte sich um einträgliche Beutezüge, endlose Gelage und vor allem um den Stumpfsinn gewisser Vorgesetzter, die offenbar nicht mit am Tisch saßen. Die Unterhaltung war überhaupt erst richtig in Schwung gekommen, nachdem eine der Frauen, die als einzige einen ganz und gar vergoldeten Helm besaß, mit dem Wirt in ein Hinterzimmer gegangen war. Durch eine offene Tür konnte ich die beiden weiter beobachten. Ich hätte zu gern gewußt, was Ulfried mit der Amazonenführerin zu bereden hatte, und dachte eben darüber nach, ob ich versuchen sollte, mich unauffällig der Tür zu dem hinteren Gelaß zu nähern, da geschah etwas, das meine Gedanken in eine völlig andere Richtung lenkte: Eine der Kriegerinnen am Nebentisch zwinkerte mir zu. Unter der Hutkrempe hinweg hatte ich sie gedankenverloren angestarrt – leicht hätte sie meinen Blick als eine Beleidigung auffassen können –, und nun das! Ich saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt, hinter mir gab es niemanden, dem ihr Zeichen gegolten haben könnte, also hatte sie zweifellos mich gemeint.
    ›Meine‹ Amazone war eine der jüngsten am Tisch, sie mochte eben die Zwanzig überschritten haben. Sie war von voller Gestalt – fast zu sehr –, der Brustpanzer umspannte das reizvoll wogende Fleisch wie ein überaus eng geschnürtes Mieder. Dedlana – dem Zuruf einer Gefährtin hatte ich ihren Namen entnommen – hatte ein rundes, ein wenig pausbäckiges, aber ebenmäßiges Gesicht, gerahmt von langem, welligem Haar, das ebenso schwarz war wie die kräftigen Brauen und die fröhlich funkelnden Augen.
    Eben stand sie auf, um mit federnden, weit ausgreifenden Schritten zur Hintertür zu eilen. Die Anführerin hatte sie zu sich gerufen. Bald durchmaß sie wiederum die Gaststube mit ihren wiegenden Schritten, um den hinteren Ausgang anzusteuern, hinter dem ich die Stallungen vermutete. Dedlana war groß – atemberaubend groß, mindestens so groß wie Elgor, also überragte sie mich fast um Haupteslänge.
    Während ich noch überlegte, ob das Zwinkern eine Aufforderung gewesen war, ihr in den Stall zu folgen (wer weiß, was im Kopf einer lebenslustigen Kriegerin vor sich geht?), kehrte sie schon wieder zurück. Die Lederstreifen ihres Rocks wippten fröhlich um die kräftigen Schenkel, während sie näher kam, mit der Linken den Säbel, in der Rechten eine Pergamentrolle haltend. Wieder traf mich ihr freundlicher, fast neckischer Blick, dann ging sie zur Anführerin ins Nachbarzimmer hinüber, übergab ihr die Rolle, kehrte zurück und setzte sich auf ihren Stuhl, wobei sie das Bein über die Rückenlehne hinweg schwang.
    Auf einen Zuruf trat der Wirt zu ihr hin; wenig später brachte er mir ein neues Bier, obwohl ich

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