Die Gabe der Amazonen
zwei imaginäre Wölbungen in der Luft. Er kicherte leise, aber plötzlich strafften sich seine Züge. »Ich fürchte, ich kann mir denken, wo unsere eiserne Jungfrau, der Kleine und der Lange geblieben sind: Vorm Stadttor erzählte der Wachmann meinem Freund, dem Kutscher, die Geschichte von ein paar Betrügern und Mördern, die man gestern, nein, vorgestern verhaftet hatte. Die drei, ein Menschenpaar und ein Zwerg, hatten auf einem Bauernwagen gesessen, der einem gewissen Arme oder so ähnlich, jedenfalls einem Vetter eben dieses Wachmanns, gehörte – der Bursche kannte sogar die Pferde beim Namen. Die Betrüger hatten sich heftig gewehrt, waren aber am Ende überwältigt worden. Auf dem Wagen waren dann Kriegerwaffen und ebensolche Rüstungsteile gefunden worden. Die drei saßen nun im Verlies – bei Wasser. Brot sollen sie erst dann bekommen, wenn ein Bote des Stadthauptmanns ein Lebenszeichen von dem Besitzer des Wagens gefunden hat, oder wenn sie ihr Verbrechen gestehen. Dann allerdings werden sie einen Tag später öffentlich hingerichtet ...« Viburn trat zum Fenster und trommelte mit den Fingerspitzen gegen die Scheibe. »Als ich die Geschichte hörte, habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Der Wirt im Fuhrmann hat uns nicht erzählt, daß die Reisegruppe der vollbusigen Kämpferin mit einem Pferdewagen unterwegs war, auch konnte ich nicht ahnen, daß ihr euch vor der Stadt trennen würdet. Aber jetzt kann es keinen Zweifel geben. Die ›Mörder‹ im Verlies sind Junivera, Larix und Elgor. Tja – das nenne ich Pech.«
»Was soll das heißen – Pech?«
»Nun, sie hatten angefangen, mir zu gefallen. Auch erwiesen sie sich für unser Vorhaben als weniger hinderlich, als ich befürchtet hatte. Es ist schon sehr ärgerlich, daß wir nun ohne sie weiterziehen müssen ...«
»Viburn, laß die albernen Späße! Wir werden auf keinen Fall ohne sie Weiterreisen. Wir müssen sie irgendwie befreien ...!«
Als sein ruhiger Blick mich traf, wurde mir klar, daß er seine Bemerkung ernstgemeint hatte. Ich suchte nach Worten ...
»Viburn!«
Mädchen war aufgewacht. Sie hatte sich auf die Ellenbogen gestützt und starrte aus weit aufgerissenen Augen zu uns herüber, ihr Gesicht war schmerzverzerrt.
»Vi-burn!«
Mit schwerer Zunge formte sie die beiden Silben. Schwankend richtete sie sich weiter auf, ihr Kopf pendelte kraftlos.
Sie schwang die Beine aus dem Bett und zog sich langsam am Bettpfosten hoch. Mit zwei Sprüngen war Viburn bei ihr und ergriff sie bei den Schultern. Ein feuchter Schwall aus Mädchens Mund ergoß sich über sein Wams. Er drängte sie behutsam aufs Bett zurück, dann riß er eine Decke von einem anderen Bett und wischte notdürftig die stinkende Brühe von seiner Brust.
»Mädchen, Mädchen, das ist jetzt das zweite Mal, daß du mir auf diese Weise die Garderobe ruinierst! Laß es bitte nicht zu einer Angewohnheit werden!«
Mädchen wollte etwas sagen, nach Viburns Gesicht fassen, aber sie wurde von neuen Würgekrämpfen geschüttelt. Viburn sah über die Schulter zu mir zurück. »Das ist schon kein Kater mehr, das ist ein Säbelzahntiger. Die Schauerleute müssen viel Geld für unsere Kleine ausgegeben haben – dummes Pack! Eine schöne Frau mit einem kleinen Schwips kann sehr unterhaltsam sein, aber was soll es, ein junges Mädchen zu vergiften? Keine Lebensart, diese Säckeschlepper, kein bißchen!«
Mädchen hatte sich ein wenig erholt. Jetzt tastete sie vorsichtig über Viburns Stirn. »Du bist nicht kalt«, sagte sie, »warm. Ganz anders als Oheim ...«
»Warum sollte ich kalt sein? Schließlich bin ich nicht tot.«
»Nein?«
»Nein.«
»Und du warst auch nicht tot?«
»Nein, nicht, daß ich wüßte.«
Viburn wischte ihr mit einem Deckenzipfel über den Mund und die schweißnasse Stirn.
»Arve, du hattest unrecht. Er ist nicht tot.«
»Nein, ist er nicht.«
»Du hast dich geirrt! Du hast dich geirrt, du hast dich geirrt! Weißt du Viburn, ich habe nie gedacht, daß du tot sein könntest, erst als Arve es mir sagte, da wurde ich unsicher. Arve weiß so viel. Nie hätte ich gedacht, daß er sich irren könnte.«
Wieder krümmte sich Mädchen unter Krämpfen zusammen. Sie bot ein Bild des Jammers. Das Sprechen bereitete ihr große Mühe, aber ihr Mund stand niemals still. Immer wieder stammelte sie, wie schön es sei, daß ich mich geirrt hätte, und mehr als zwanzigmal ließ sie sich von Viburn versprechen, daß er uns nie mehr verlassen würde. Endlich sank sie auf das
Weitere Kostenlose Bücher