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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Treppenschacht.
    »Mädchen, das ist ja toll! Wie hast du das nur gemacht?«
    »Das war nicht sehr schwer, Arve.«
    Sie nahm mir die Fackel aus der Hand und beleuchtete einen deutlich sichtbaren Kratzer im Boden, der in einem Viertelkreis zur Türe führte.
    Hinter der Tür steckten drei Spieße im Boden. Der mittlere hatte ein schwarzes Stück Tuch auf die gestampfte Erde geheftet.
    Viburn bestand darauf, die Falle zu untersuchen: »Ich möchte sehen, wie das Ding gebaut ist. Schließlich müssen wir wissen, ob hier ein pfiffiger Meister am Werke war.« Mädchen entdeckte ein paar Schritt hinter der Falle eine kleine Blutlache auf dem Boden. Von dort führte eine Tropfenspur tiefer in den Gang hinein. Anscheinend hatte der Spieß mehr als nur einen Mantel erwischt. Wir warteten ab, bis Viburn seine Besichtigungen beendet hatte.
    »Nicht übel«, stellte er fest. »Wenn man die Tür öffnet, macht man die Falle scharf, indem man sie wieder schließt, löst man sie aus. Die Spieße können also nur jemandem gefährlich werden, der dem Gang – so wie wir – in der falschen Richtung folgt. Die Spieße sind übrigens aus massivem Eisen und aus ziemlich großer Höhe herabgefallen. Die Amazonen müssen außerordentlich behende und geistesgegenwärtige Frauen sein, sonst wäre der Weg hier für sie zu Ende gewesen.«
    Wir zeigten ihm den Blutfleck auf dem Boden.
    »Keine schwere Verletzung, würde ich sagen. Vermutlich hat sie der Spieß beim Wegspringen gestreift. Immerhin – wir sollten zufrieden sein. Sehr zuvorkommend von den Damen, eine so deutliche Spur für uns zu legen ...«
    Der Tunnel, in dem wir uns nun befanden, besaß steinerne Wände, eine gewölbte, ebenfalls gemauerte Decke, und der Boden war in unregelmäßigen Abständen mit quer verlaufenden Holzdielen belegt. Diese Bretter gaben uns einige Rätsel auf – vermutlich war das ihr einziger Sinn. Denn manchmal stießen wir auf eine einzelne Diele, über die wir leicht hinwegsteigen konnten, dann wieder war eine Gangstrecke von fünf und manchmal mehr als zehn Schritt von einem regelrechten Holzfußboden bedeckt.
    Wie wir an den kleinen Blutlachen sehen konnten, waren die Amazonen vor längeren Holzpassagen regelmäßig stehengeblieben, um sie eingehend zu untersuchen – eine Arbeit, die uns nun erspart blieb.
    Immerhin, für die Amazonen hatte ihre Vorsicht sich ausgezahlt, denn nachdem wir dem – übrigens schnurgerade verlaufenden – Gang ein paar hundert Schritt gefolgt waren, stießen wir kurz nacheinander auf zwei tiefe, im Boden klaffende Löcher. Von unten reckten Holzpfähle ihre häßlichen Spitzen zu uns hinauf, aber eine gepfählte Kriegerin konnten wir nicht entdecken. Einen größeren Blutfleck fanden wir vor einem Fußbodenstück, das durch eine deutliche Kante von dem übrigen Boden abgesetzt war. Von dieser Kante – sie erhob sich eine knappe Handbreit über dem Boden – fielen die Bretter über die Strecke etwa einer guten Mannslänge leicht ab, bis die Höhe des Gangbodens wieder erreicht war.
    Wir blieben stehen. Viburn beleuchtete die merkwürdige schiefe Ebene mit der Fackel, drückte sie probeweise mit der Hand nach unten, erst leicht, dann stärker, sie gab nicht nach. Anschließend versuchte er, die schräge Platte anzuheben – und hatte sofort damit Erfolg. Er stemmte die mannslange Platte um Armeslänge nach oben, und wir konnten in eine schwarze grundlose Grube sehen. Dort unten bewegte sich etwas: eine zweite Platte, die offenbar mit der ersten verbunden war, und zwar in einem rechten Winkel. Viburn pfiff durch die Zähne. »Auch nicht schlecht ausgedacht!« Er ließ die Holzplatte auf den Boden zurückfallen und spazierte über sie hinweg. »Kommt mir ruhig nach! Es besteht keine Gefahr!«
    »Was ist das?« fragte Mädchen erstaunt.
    Viburn war gern bereit, ihr den Mechanismus zu erklären. »Eine raffinierte Kombination aus Tür und Falltür. Wenn die Platte, über die wir gerade gegangen sind, senkrecht steht, sieht sie aus wie eine Tür. Die andere Platte, ich meine die, die unten in der Grube hing, liegt dann waagerecht wie eine Falltür. Du trittst auf die Falltür, die klappt nach unten weg, du stürzt in die Grube. Die andere Tür klappt über dir zu. Das Ganze arbeitet wieder nur, wenn man aus der ›falschen‹ Richtung kommt – also von außen in den Palast eindringen will. Von hier aus, wo wir jetzt stehen«, er schaute noch einmal zu der Falle zurück, »braucht man die Scheintür nur einfach umzustoßen.

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