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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Sie ist ein bißchen länger als die Fallklappe und liegt sicher auf dem Boden auf. Ich frage mich, wie die Amazonen das Ding überwunden haben ... Vielleicht haben sie einen Dolch an einem Strick befestigt, ihn in die Tür geworfen und sie heruntergezogen – so könnten sie es geschafft haben.«
    Wir gingen weiter. Hin und wieder mündeten dunkle Seitengänge in den Haupttunnel ein. Die beharrlich geradeaus verlaufende Blutspur zeigte uns, daß wir die Seitengänge nicht zu beachten brauchten. Allerdings wurde der Abstand zwischen den Tropfen immer größer, und am Ende des gewölbten Gangs versiegte die Spur ganz, so daß wir, als der Gang sich in spitzem Winkel gabelte, ratlos stehenblieben.
    Viburn zuckte die Achseln. »Mädchen, entscheide du!«
    Sie hatte sich gebückt, aber auf der festen Erde waren keine Spuren zu entdecken.
    Da war plötzlich aus dem linken Gang ein leises Geräusch zu hören: ein dumpfer Schlag, ein gedämpfter Schrei. Wir gingen nach links.
    Der Stollen, grob aus unterirdischem Felsgestein gehauen, war so schmal, daß wir nur hintereinander gehen konnten. Aus Spalten in der knapp mannshohen Decke fielen einzelne Wassertropfen. Zweimal mußten wir auf Hände und Knie hinab, um unter einem Felsbrocken durchzukriechen, der offenbar den Meißeln der Tunnelbauer widerstanden hatte. Auf diesem Stück hatten die Steinhauer die härteste Arbeit zu verrichten gehabt und – wie Maulwürfe – den Weg des geringsten Widerstandes gesucht: Der Tunnel stieg auf und fiel ab, wand sich nach rechts und links wie der Leib einer fliehenden Seeschlange. Meißelspuren in dem schwarzen Stein ringsumher zeugten von der Mühe, die dieser Stollen gekostet hatte.
    Wieder ein Geräusch vor uns – viel lauter dieses Mal!
    Viburn, der an der Spitze ging, bückte sich, legte die Fackel auf den Boden und erstickte die Flamme mit dem zusammengeknüllten Ende seines Umhangs. Finsternis umspülte uns wie eine tintenschwarze Flüssigkeit.
    Fußgetrappel – jetzt wieder ferner und leiser werdend ...
    »Weiter!« hauchte Viburn.
    Aus leisem Kleidergeraschel schloß ich, daß er und Mädchen sich nun kriechend weiterbewegten. Also ließ auch ich mich zu Boden gleiten. Während ich auf schmerzenden Knien vorwärtskrabbelte, tastete ich immer wieder nach Mädchens Füßen, um die Fühlung nicht zu verlieren.
    Viburn flüsterte etwas, das ich nicht verstand, aber Mädchen gab die Warnung aufgeregt an mich weiter: »Nach rechts, ganz nach rechts!«
    Ich preßte mich eng an die rauhe Felswand und schob mich weiter nach vorn.
    Mit der Linken berührte ich einen glatten Gegenstand, warm und nachgiebig. Ich fuhr vorsichtig darüber hin: ein Bein, ein nackter Oberschenkel. Dann stieß ich gegen eiskaltes Metall, ein scharfer Dreikant, der senkrecht aus dem Boden stand. Etwa eine Handbreit davon entfernt ein zweiter und ein dritter Spieß.
    Mein Kopf prallte gegen den Felsen. Plötzlich war die Finsternis mit leuchtenden Flecken durchsetzt. Der Gang war hier so niedrig, daß man nur auf dem Bauche robbend vorwärtskam. Und so, zwischen Decke, Seitenwand und der Reihe der Spieße eingeklemmt, kroch ich Zoll um Zoll durch eine klebrige, kühle Lache und über einen Frauenarm mit schlaff geöffneter Hand hinweg. Mein Degengriff hakte sich hinter einem der Spieße ein. Mit angehaltenem Atem riß und zerrte ich an der Waffe. Eine Ewigkeit verging, bis ich sie endlich freibekam. Dann lag das Hindernis hinter mir. Ich hob versuchsweise die Hand, auch über meinem Kopf war wieder genügend Raum. Also erhob ich mich auf alle viere und beschleunigte meine Geschwindigkeit, um zu Mädchen und Viburn aufzuschließen – und wurde plötzlich aufgehalten, als ich mit dem Gesicht gegen Mädchens muskulöse Waden prallte.
    Seit einiger Zeit hatte ich die Augen fest zugekniffen – aber das bemerkte ich erst jetzt, da ich sie, durch den Zusammenprall erschreckt, aufriß und voller Verblüffung feststellte, daß ich etwas sah: Mädchen und Viburn zeichneten sich als schwarze Silhouetten vor einem schwach erleuchteten Halbrund ab. Der Felsstollen war zu Ende. Die beiden standen vor der Mündung eines geräumigen, ausgemauerten Tunnels. Das matte Licht, das aus der Öffnung fiel, konnte nur von den Fackeln der beiden überlebenden Amazonen stammen. Viburn bedeutete mir durch eine Geste, leise zu sein. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen – ich wagte kaum zu atmen ...
    Der Tunnel beschrieb kurz hinter der Mündung einen Bogen. Durch diese Krümmung

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