Die Gabe der Amazonen
nicht ab: »Mädchen, vielleicht kannst du wirklich unter Wasser schwimmen. Du solltest es versuchen.«
Ich wollte widersprechen, aber Mädchen war bereits aufgestanden und hatte angefangen, ihre Kleider abzustreifen. Bald kauerte sie nackt vor dem Schott und schaute fragend zu uns zurück. »Ich weiß gar nicht, wonach ich dort unten suchen soll.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Viburn. »Vielleicht gibt es irgendwo an der Wand einen Hebel oder einen Griff, vielleicht entdeckst du etwas Ungewöhnliches auf dem Boden – irgend etwas Merkwürdiges, das dir auffällt ... Aber bleibe nur nicht zu lange dort unten – bedenke, daß du auch noch Luft für den Rückweg brauchst!«
Mädchen nickte ihm zu. Dann stieg sie die Stufen hinab, bis nur noch ihr Kopf aus dem klaren Wasser schaute, holte tief Luft und verschwand.
Aus dem Dunkel blubberten ein paar Luftblasen auf, dann beruhigte sich das Wasser wieder. Viburn und ich starrten auf die glatte Fläche und warteten.
Nichts geschah.
Kein Laut, keine Luftblasen, gar nichts.
Zeit verging.
»Wir hätten sie nicht gehen lassen dürfen«, wollte ich zu Viburn sagen, aber beim Anblick seiner sorgenvollen Miene verzichtete ich darauf. Er stieg aus den Stiefeln und streifte sein Wams ab. Da zerplatzte eine einzelne Blase auf dem Wasser, dann folgte ein ganzer Schwall und endlich, endlich auch Mädchens Kopf. Sie stieg bis zum Nabel aus dem Wasser, strich sich die triefenden Haare aus dem Gesicht und lächelte uns zu.
»Ich kann wirklich tauchen .« Sie rang nach Luft. Ihre festen kleinen, von Wasserperlen und einer Gänsehaut bedeckten Brüste hüpften bei jedem tiefen Atemzug. »Aber ich habe nichts gefunden ... Ich versuche es noch einmal.«
Bevor wir etwas einwenden konnten, war sie schon wieder in der Tiefe verschwunden. Das Wasser mußte eisig kalt sein, aber Mädchen stieg hinein und hinaus wie eine Hofdame, der ein gewärmtes Bad bereitet wurde.
Diesmal dauerte die Wartezeit noch länger, aber wir ertrugen sie mit mehr Gelassenheit. Mir fiel gerade auf, daß der Wasserspiegel um eine halbe Stufe gesunken war, da tauchte Mädchen wieder auf. Wieder stieg sie erst gar nicht aus dem Wasser.
»Einen Dolch!« keuchte sie und streckte uns die offene Hand entgegen.
Viburn reichte ihr seine Waffe. »Wozu brauchst du den Dolch?« fragte er, und ich gleichzeitig: »Was treibst du da unten?«
Eine Antwort erhielten wir beide nicht.
Als Mädchen zum dritten Mal die Treppe hinaufstieg, kam sie ganz aus dem Wasser heraus und kroch unter dem Schott hindurch.
Viburn sah sich suchend um, zog den schwarzen Mantel einer der Kriegerinnen unter dem toten Körper vor und warf ihn über Mädchens Schultern, um sie anschließend mit dem derben Tuch kräftig abzurubbeln.
»Jetzt wird das Wasser bald abgeflossen sein«, berichtete sie. »Da war eine kleine Platte mitten im Boden. Das kam mir seltsam vor. Erst habe ich sie ein wenig zur Seite geschoben und jetzt mit dem Dolch herausgehoben.«
Ein Blick auf die Treppe zeigte mir, daß der Wasserspiegel langsam, aber deutlich erkennbar sank.
»Der Gang ist ungefähr fünfzehn Schritt lang«, fuhr Mädchen fort. »Am anderen Ende ist auch eine Treppe, genau wie diese hier, und eine solche Eisenplatte. Die habe ich schon hochgeschoben.«
»Wie hast du das gemacht?«
»Das ging ganz leicht. Ich habe den Dolch daruntergeschoben und ein wenig gedrückt. Die Platte glitt hoch – fast wie von selbst ...«
Viburn murmelte etwas von Gegengewichten.
Ich hielt meine Fackel in den Treppenschacht. Auf den untersten Stufen stand zwar noch Wasser, aber wir wollten keine Zeit mehr verlieren. Ich ging voran, die Treppe hinab. Der Boden des Ganges war immerhin noch kniehoch mit Wasser bedeckt, und das war kalt, sehr kalt. Mit zusammengebissenen Zähnen wollte ich weiterwaten, aber Viburn hielt mich an der Schulter fest. »So bleib doch! Mädchen muß sich erst anziehen. Gib mir die Fackel, damit ich ihr leuchten kann!«
»Schon gut!« rief Mädchen von oben. »Ich komme auch im Dunkeln zurecht.«
Anscheinend hatte sie ihr Tastvermögen ein wenig überschätzt, denn es dauerte eine ganze Weile, während der wir sie oben geräuschvoll hantieren hörten, bis sie endlich zu uns stieß. Sie hatte den schwarzen Umhang der Amazone eng um den Leib geschlungen und grinste verschmitzt. »Worauf wartet ihr, ich bin soweit.«
Inzwischen war das Wasser fast völlig abgeflossen, nur hier und da standen im Fackellicht blinkende Lachen auf dem Boden. In der
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