Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
eine kleine Biegung und mündete dann in einem großartigen Gewölbe.
Mein Gott!
Schaudern erfaßte mich, als ich erkannte, daß es wirklich jene Höhle war, die ich in meiner Vision gesehen hatte. Im Zentrum befand sich jener gewaltige Steinblock, auf dem mit kalter, grünlich schimmernder Flamme ein gespenstisch wirkendes Feuer brannte. Ein Feuer, das nicht wärmte und das auch nichts zu verzehren schien. Eine magische
Lichterscheinung, die die gesamte Höhle in ein eigenartiges Licht tauchte. An den Wänden tanzten groteske
Schattengebilde.
Und dann waren da noch die Berge von Knochen, Gerippen und augenlosen Raubtierschädeln.
Die Gebeine von unzähligen Tigern...
Ich registrierte den Staub zu unseren Füßen, sah hier und da einen Zähn oder die Überreste einer Pranke unter dem beinahe völlig pulverisierten, kalkartigen Material hervorschauen und begriff, auf was für einem Untergrund meine Füße standen.
Mir fröstelte.
Namenlose Kälte stieg in mir auf und drang in den letzten Winkel meiner Seele. Eine Kälte, die nichts mit dem Klima Sibiriens oder der Tatsache zu tun hatte, daß wir uns schon ziemlich lange im Freien aufgehalten hatten. Diese Kälte durchdrang buchstäblich alles, erfüllte alles. Sie war nicht trocken, wie jene, die das strenge Kontinentalklima im Amur-Gebiet verursachte.
Nein, sie war feucht und klamm und erinnerte mich unwillkürlich an eine modrige Totengruft.
Genau das ist es doch auch! ging es mir angstvoll durch den Kopf. Die Totengruft der Uksaki... Unzählige Tiger liegen hier seit langer Zeit, eingeschlossen in diesen Berg... Ich spürte die geistige Kraft dieser geheimnisvollen Wesen jetzt mit unangenehmer Intensität. Alles, was an mentaler Energie in mir war, mußte ich zusammennehmen, um mich dagegen abzuschirmen. Ich versuchte es, so gut es ging. Ein leichtes Schwindelgefühl erfaßte mich dennoch und ich wünschte mir in diesem Augenblick nichts so sehr, als ohne meine Gabe geboren zu sein oder sie besser kontrollieren zu können.
Ich blickte zu Tom, der einen Schritt vortrat.
"Es ist wie... damals", murmelte er.
Garrison konnte darüber nur die Stirn in Falten legen, aber in diesem Augenblick dachte er über diese Bemerkung kaum weiter nach.
An diesem Ort also hatten sich die Wilderer bedient und geglaubt, ohne großen Aufwand die Knochen plündern zu können. Das hatte die Uksaki vermutlich wachgerufen...
Ihre Rache war furchtbar gewesen - und sie schien sich gegen alle Menschen zu richten. Schließlich hatten die getöteten Wildhüter nichts mit den Wilderern zu tun. Garrison knöpfte seinen Anorak auf und holte ein kleines Kästchen aus Holz hervor.
Es handelte sich zweifellos um jenes Kästchen, das Garrison aus der Thornhill Villa entwendet hatte.
"Was haben Sie vor?" fragte ich.
"Das Bannritual...", murmelte Garrison. Seine Augen leuchteten. Sein Gesicht wirkte angestrengt... Er öffnete den Verschluß des Kästchens.
Aber noch ehe Garrison irgend etwas tun konnte, riß eine unsichtbare Macht ihm das Kästchen aus der Hand. Dieselbe Kraft schleuderte ihn zurück bis zur kalten Höhlenwand. Ein Schrei entrang sich seinen Lippen.
Das Kästchen flog in die Höhe, öffnete sich und das weiße kalkartige Pulver rieselte heraus. Einen Augenblick später fing das Kästchen Feuer. Eine grünlich schimmernde Flamme züngelte empor und verwandelte auch das Holz in weißes Pulver.
Dann ertönte ein wütendes Fauchen. Gleichzeitig fühlte ich, wie die mentale Kraft der Uksaki nach meiner Seele griff. Schwindel erfaßte mich. Ich taumelte, sank zu Boden.
"Tom!" schrie ich, während meine Hände sich in das bleiche Knochenpulver gruben. Ein eisiges Gefühl jagte meine Arme hinauf und ließ mich erzittern. Der Puls raste. Ein dicker Kloß steckte mir im Hals und ich spürte, daß ich mich nicht bewegen konnte. Eine unsichtbare Kraft hielt mich fest. Und für Garrison schien etwas ganz ähnliches zu gelten. Dicht an die kalte Felswand gepreßt stand er da und es sah aus, als ob unsichtbare Ketten seine Arme am eisigen Stein festhielten. Tom schien sich als einziger noch bewegen zu können. Er wandte den Kopf in meine Richtung. Grauen und Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Dann geschah es.
Erneut fauchte es in ohrenbetäubender Lautstärke. Ein Laut, der durch den Hall in diesem Gewölbe völlig verfremdet war. Und dann sah ich die Bewegung in einem der Knochenhaufen. Ein augenloser Tigerschädel rührte sich, schwebte empor, öffnete die
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