Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
allem, was ich zuvor in dieser Hinsicht erfahren hatte.
Und wenn die Szene aus dem Traum mir erst noch bevorsteht?
ging es mir schaudernd durch den Kopf.
"Wohin fahren wir jetzt?" fragte Jim.
Seine Stimme riß mich aus meinen düsteren Gedanken heraus. Zumindest für den Augenblick.
"Zur Anwaltskanzlei Carrington, Nevins und Brolin", sagte ich.
"Du suchst nach einem Grund für diese Morde... Einem Motiv!"
"Vielleicht kommt man dadurch ein Stück weiter. Dieser Leichenwagen scheint planmäßig vorzugehen..."
"Wie du von dieser Karre sprichst..."
"Wie denn?"
"Wie von einem lebenden Wesen", stellte Jim fest. Und er hatte recht. Wann immer ich über diesen Leichenwagen nachdachte, ich empfand ihn als etwas, das auf unheimliche Weise lebendig war. Nicht als ein von Menschen gesteuertes Fahrzeug.
Aber das war nur eine vage Empfindung.
*
In der Nähe der Kanzlei Carrington, Nevins und Brolin stellte ich den Mercedes ab. Die Kanzlei residierte in einem altehrwürdigen Gebäude aus viktorianischer Zeit. Ein Treppenaufgang führte hinauf zum Eingang.
Jim wollte gerade aussteigen, aber ich hielt ihn zurück.
"Warte!" sagte ich.
Jim runzelte die Stirn.
Ein Mann kam aus dem Eingang zur Kanzlei. Er trug einen grauen Wollmantel. Seine breitschultrige, hochgewachsene Silhouette kam mir vom ersten Augenblick an bekannt vor. Dann drehte er für einen kurzen Moment den Kopf. Kein Zweifel! durchfuhr es mich.
"Tom Hamilton!" zischte Jim zwischen den Zähnen hindurch.
"Wer hätte das gedacht... Ich frage mich, was er hier sucht..."
"Auf jeden Fall scheint er immer etwas schneller zu sein, als wir", stellte ich fest.
"Ganz wie in der Geschichte vom Hasen und vom Igel: Unser Igel heißt Tom und war immer schon da!"
Wir stiegen aus.
Tom Hamilton schien uns nicht bemerkt zu haben.
Jim knipste ein paar Bilder.
Tom ging die Straße entlang. Offenbar hatte er seinen Wagen am anderen Ende der Straße geparkt. Den Kragen seines Mantels hatte er hochgeschlagen. Er ging direkt in den Nebel hinein, der in dicken Schwaden dahinkroch. Einen Augenblick später war er nur noch ein dunkler Schemen. Ein Schattenriß, der sich schwarz gegen das Grau des Nebels abhob.
Das kann kein Zufall sein! ging es mir durch den Kopf. Tom war in der Mildoon-Street und jetzt hier...
"Was hast du jetzt vor?" fragte Jim. "Wollen wir dem Kerl das durchgehen lassen?"
"Ich werde ihn schon zur Rede stellen!"
"Gegen seinen Charme hast du doch gar keine Chance. Der schmiert dir soviel Honig dorthin, wo bei anderen der Bart ist, daß du vergessen hast, was du eigentlich von ihm wolltest!"
"Da kennst du mich schlecht, Jim!"
"Ach, ja?"
Ein dumpfes Geräusch ließ uns beide zusammenzucken. Es war ein aufheulendes Motorengeräusch, das wie das Brummen einer großen Hornisse klang.
Ich kannte dieses Geräusch nur zu gut.
Aus meinem Traum.
Der Puls schlug mir bis zum Hals, als ich herumwirbelte und das schattenhafte Ungetüm aus dem Nebel heraus auftauchen sah. Die Schweinwerfer wirkten wie große, glühende Augen. Wie erstarrt stand ich da.
Ein Kloß steckte mir im Hals, als ich im nächsten Moment den dunklen, langgezogenen Leichenwagen sich aus dem Nebel herausschälen sah.
Wie ein Wahnsinniger raste er die Straße entlang. Ich versuchte zu erkennen, ob jemand am Steuer saß...
Vergeblich.
Das dunkle Ungetüm jagte die Fahrbahn entlang. Passanten blieben stehen und sahen ihm nach.
Im nächsten Moment erkannte ich, was geschehen würde. Der Leichenwagen hielt direkt auf Tom Hamilton zu!
"Nein!"
Ich schrie aus Leibeskräften und begann zu laufen. Tom hatte sich herumgedreht. Blitzschnell warf er sich dann seitwärts, während der Leichenwagen an ihm vorbeizog. Die Geschwindigkeit dieses kostbaren Gefährts war mörderisch. Der dunkle Wagen kam wie ein finsterer Schatten heran. Er schrammte über den Bürgersteig. Nur wenige Zentimeter lagen zwischen Tom und diesem grauenhaften Wagen.
Mit quietschenden Reifen drehte das Gefährt dann wieder auf die Straße.
Einem verblassenden Schatten gleich verschwand es im Nebel, während Jim versuchte, es auf den Film seiner Kamera zu bannen.
Ich rannte zu Tom, der etwas benommen am Boden lag. Er rappelte sich hoch und blickte in den Nebel hinein - dem schwarzen Wagen nach. In der Ferne vermischte sich sein Motorengeräusch mit dem Straßenlärm.
Tom schien mich zunächst gar nicht zu bemerken. Auch als ich ihn ansprach, reagierte er nicht gleich. Langsam drehte er den Kopf herum. Seine Gedanken schienen
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