Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
etwas zu sagen.
Schließlich blickte sie auf.
Ihre tränenverhangenen Augen musterten Eric einen Moment, der beinahe unbeteiligt wirkte. Sie löste sich von ihm und wich einen Schritt zurück. Dann schluckte sie.
"Es hat wieder eine Tote gegeben", flüsterte sie dann.
"Eine junge Frau. Ich habe es in den Nachrichten gehört... Man hat sie noch nicht identifiziert!"
"Sandra..." Eric rang mit den Armen, aber Sandra wollte nicht hören, was er zu sagen hatte. Sie hob abwehrend die Hände.
"Nein, laß mich ausreden. Bitte!"
"Was soll das denn! Das führt doch alles zu nichts!" Erics Gesicht hatte einen dunkelroten Ton bekommen. Er wirkte gleichermaßen ärgerlich und besorgt. Unsicherheit klang in seinem Tonfall mit. Er hatte Angst - selbst Sandra konnte das in ihrem Zustand spüren. Aber irgendwie tröstete es sie, daß
sie nicht die einzige war, die so empfand.
Sie schluckte. Ein Kloß schien ihr im Hals zu stecken, der sie zunächst daran hinderte, zu reden. Sie öffnete halb den Mund, aber nicht ein einziger Laut kam über ihre vollen Lippen. Ihr Make up war derweil durch die Tränen verwischt und ließ sie wie ein trauriger Pierrot erscheinen.
"Es ist wie damals!" flüsterte sie dann. "Ein unheimlicher Todesfluch..."
"Sandra!"
"Wir hätten es nicht tun dürfen", flüsterte sie dann.
"Aber warst du es nicht, die unbedingt die Wahrheit erfahren wollte, Sandra?"
Sie nickte.
"Ja, das stimmt", gab sie dann zu. "Aber diesen Preis ist es nicht wert gewesen..." Sie atmete dann tief durch. "Nichts kann diesen unheimlichen Wagen stoppen, Eric! Du weißt es und ich weiß es. Auch ein Alexander Milton hat dazu nicht die Macht!"
"Das wird sich zeigen, Sandra!"
"Nichts wird sich zeigen! Es ist hoffnungslos... Wir hätten uns niemals auf die Mächte der Finsternis einlassen dürfen..."
"Für solche Überlegungen ist es jetzt zu spät!" gab Eric zu bedenken. Er nahm Sandra sanft bei der Hand. Dann führte er sie behutsam mit sich. Ihr Blick wirkte abwesend, beinahe wie in Trance. Sie schaute ins Nichts und ihre Augen wirkten wie im Angesicht eines unsichtbaren Schreckens.
Bevor sie die Tür des Salons erreichten, kamen sie an einem großformatigen Gemälde vorbei. Es zeigte einen Mann in den Fünfzigern. Das Gesicht wirkte entschlossen, das Profil kühn. Und das Haar wies unverkennbar einen Stich ins Rötliche auf - dort, wo es noch nicht ergraut war.
Sandra blieb stehen.
Ihr Blick hing wie gebannt an diesem Gemälde.
Sie schaute in die dunklen, energisch wirkenden Augen.
"Großvater!" flüsterte sie dann. "Mit deinem Tod begann das Verhängnis..."
"Sandra!" fuhr Eric mit tadelndem Unterton dazwischen. Widerstrebend folgte sie ihm dann. Er öffnete die Tür des Salons. Eine breiter Treppenaufgang führte hinab in die Eingangshalle, wo ein dunkel gekleideter Mann mit
rabenschwarzen Haaren auf sie wartete. Der Bart ließ ihn noch düsterer erscheinen. Der Blick seiner Augen war von ungewöhnlicher Intensität.
"Entschuldigen Sie, daß wir Sie haben warten lassen, Mr. Milton", sagte Eric beinahe unterwürfig.
Milton erwiderte nichts. Sein Blick hing an Sandra.
"Wie geht es Ihnen?" fragte er die junge Frau, nachdem sie die Treppe hinabgestiegen und ihm entgegengetreten war. Sie schaute ihn an und hielt seinem stechenden Blick stand.
"Wie viele Unschuldige müssen noch sterben, Mr. Milton?"
"Unschuldige?" echote dieser. Während er lächelte entblößte er zwei Reihen makellos weiß blitzender Zähne. "Gibt es so etwas denn, verehrte Sandra?"
Eine grausame Unerbittlichkeit klang in diesen Worten mit. Seine Augen leuchteten auf eine Weise, die Sandra unwillkürlich schaudern ließ.
Ein leises Kichern ging über Miltons dünne, blutleer wirkenden Lippen. Sein Gesicht verzog sich und bildete eine teuflische Grimasse.
"Ihre Skrupel hätten Ihnen etwas früher einfallen können, Sandra! Sie waren doch vollkommen besessen von dem Gedanken, die Wahrheit zu erfahren... Und auf die Risiken, die immer dann entstehen, wenn man die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich auf eine Weise überschreitet, die nicht der Natur entspricht, habe ich Sie hingewiesen!"
"Warum quälen Sie sie, Mr. Milton?“ fuhr Eric ärgerlich dazwischen.
"Ich quäle Ihre Schwester nicht, Eric! Ich nicht! Die Qual kommt aus Ihrer eigenen Seele..." Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Ein Muskel zuckte unruhig oberhalb des Wangenknochens. "Diese Qual wird Sie von innen heraus langsam zerfressen,
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