Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
natürlich auch die Sünde der Wollust, die er ebenso oft beging wie bereute. Die lange gehegte Hoffnung, diese Gier würde sich im Alter legen, erfüllte sich nicht. Je mehr sich sein Kopf mit Gedanken an Nachfolge und Nachleben beschäftigte, desto eifriger suchte sein Körper, schönen Frauen die Kraft der Jugend abzutrotzen. Inzwischen trachtete er nicht mehr danach, dieser Begierde zu entsagen, doch durfte er sie auch nicht allzu öffentlich zur Schau tragen.
Aus diesem Grund hatte er für alle höhergestellten unverheirateten Frauen seines Hofstaates ein Haus erbauen lassen. Dort sollten sie vor unerwünschten Nachstellungen durch Höflinge und Gäste geschützt sein. Dass im Untergeschoss des vierstöckigen Gebäudes jene Frauen wohnten, denen er selbst gelegentlich seine Aufwartung zu machen gedachte, musste nicht jedermann wissen; dass jedoch Männern der Zutritt zu diesem Haus verwehrt war, sprach sich schnell herum.
Die Wache ließ Ezra in eine große leere Halle eintreten, von der mehrere Türen abgingen.
»Wer bist du? Was suchst du hier?«, erklang kurz darauf eine unfreundliche Stimme.
Hinter einer Säule trat eine dunkelhaarige junge Frau hervor, die ein kleines Kind an ihre Brust hielt und die fremde Besucherin voller Argwohn musterte. Ezra erkannte Regina, jene Friedelfrau, die dem Kaiser gerade den Sohn Drogo geboren hatte und die als sehr eifersüchtig galt.
»Ich suche Frau Gerswind«, erklärte Ezra schnell, um jeglichem Missverständnis zuvorzukommen. Dankbar, den Kaiser offensichtlich nicht mit einer weiteren Beischläferin teilen zu müssen, ließ Regina ein winziges Lächeln erkennen und deutete gelangweilt auf eine Tür.
Gerswind öffnete auf Ezras Klopfen und machte große Augen.
»Du bist sehr mutig«, flüsterte sie und zog ihre Freundin in ein Zimmer, das erstaunlich karg eingerichtet war. »Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen. Geht es dir gut?«
Ezra schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf ihren Bauch.
»Du erwartest ein Kind?«, fragte Gerswind überrascht und schob ihr den einzigen Schemel hin. »Setz dich, Ezra, das ist doch eine gute Nachricht!«
»Nicht für den Architectulus«, murmelte Ezra. »Der soll in einem solchen Fall mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt werden. Das hat Kaiser Karl gesagt.«
Gerswind sah sie bestürzt an.
»Er weiß Bescheid? Aber es ist doch nicht sein Kind oder etwa doch?«
Ezra schüttelte den Kopf. »Nein, Lucas ist der Vater. Und ja, der Kaiser weiß leider Bescheid.«
Sie berichtete von ihrer kryptischen Unterredung mit Karl, der damals noch König war.
»Somit ist deine Lage wahrlich ungünstig«, sagte Gerswind bekümmert. »Der Kaiser wird sich an sein Wort halten und dich davonjagen.«
»Ich hatte gehofft, dass du … «
Ezra brach ab.
»… dass ich dir helfen kann?«, vollendete Gerswind den Satz. »Ach, Ezra, du überschätzt meinen Einfluss auf den Kaiser. Und da er ausnahmsweise den gesamten kommenden Winter in Aachen verweilen wird, kann ich dich auch nicht bis zur Geburt deines Kindes bei mir verstecken. Wir müssen uns also etwas anderes einfallen lassen.«
»Was würdest du an meiner Stelle tun?«
»Verschwinden, ehe man mich fortscheucht«, antwortete Gerswind. »So wie ich damals verschwunden bin, als ich mein Leben in Gefahr glaubte.«
»Weil du eine sächsische Geisel warst«, erinnerte sich Ezra. »Wohin bist du damals geflohen?«
»Nach Prüm.«
»Prüm!«, versetzte Ezra erstaunt, »der Ort, wo die Zimmerleute herkommen. Und Heda!«
»Wer ist Heda?«
»Eigentlich heißt sie Maria. Sie ist die Frau des Schmiedemeisters Alboin.«
»Ach ja, deine Zweitfamilie«, erinnerte sich Gerswind. »Hat Maria noch Familie in Prüm?«
»Möglich«, antwortete Ezra, »ihre Brüder arbeiten hier als Zimmerleute. Über ihre Familie dort weiß ich nichts.«
»Wie kann das sein, da du doch seit Jahren nahezu jeden Abend bei ihr weilst?«, fragte Gerswind erstaunt.
Schweigen senkte sich über den Raum. Ich weiß, dass Maria eine Hure war, die sich Heda nannte, dachte Ezra. Dass sie einen Raubmörder geliebt, dessen Kind bekommen und danach mit Alboin das Glück ihres Lebens gefunden hat. Dass sie ihm jedes Jahr ein weiteres Kind schenkt und eine gute Frau ist, die einmal eine falsche Entscheidung getroffen hat, die sie beinahe das Leben gekostet hätte. Mehr weiß ich nicht von ihr. Ihre Herkunft ist mir genauso unbekannt wie die von Dunja. Nie habe ich mir Gedanken über die Frauen gemacht, die meinem Leben
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