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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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sie wirklich war, hätte er ihr angesichts ihrer baumeisterlichen Fähigkeiten empört jegliche Weiblichkeit abgesprochen. Frauen waren dazu da, in Kirchen zu beten, nicht, sie zu erbauen.
    »Wir müssen meinem Vater alles sagen und ihn mitnehmen«, erklärte Lucas.
    Ezra schüttelte den Kopf. Ihr geliebter Mann war immer noch in einem Märchen verfangen.
    »Wir werden nicht davonlaufen«, sagte sie. »Wir werden diese Kuppel fertigstellen; ich muss das Versprechen meines Vaters einlösen. Das bin ich ihm schuldig.« Mit der flachen Hand klopfte sie auf ihren Bauch. »Und seinem Enkel auch.«
    Jetzt, da alles Wichtige ausgesprochen war, zog Frieden in ihr ein; eine seltsame Gelassenheit, genährt von ihrem Gottvertrauen: Allah konnte alles möglich machen. Mit seiner Hilfe würde sie ihr Kind bekommen und die Kuppel bauen können. Eins nach dem anderen.
    Sie griff an Lucas vorbei zu ihrem Holzkästchen und zog willkürlich eine Koranseite hervor. Das Blatt war so stark beschädigt, dass sie mühsam nur wenige Sätze entziffern konnte: Wenn Allah Not über dich kommen lässt, gibt es niemand, der sie beheben könnte, außer ihm. Und wenn er dir etwas Gutes erweisen will, gibt es niemand, der seine Gnade von dir abwenden könnte. Er trifft damit, wen von seinen Dienern er will. Und er ist es, der barmherzig ist und bereit zu vergeben.
    »Allahu akbar«, sagte sie leise.
    »Magst du mir etwas aus deinem Buch übersetzen?«, fragte Lucas.
    Ezra schüttelte bedauernd den Kopf. Viel zu kompliziert , wollte sie sagen, doch als sie wieder auf das Papier blickte, fiel ihr eine Zeile ins Auge, die einzige auf dieser Seite, die gänzlich unzerstört geblieben war und sich dadurch von allen anderen abhob. Mühelos übersetzte sie: »Folge dem, was dir eingegeben wird.«
    »Mitunter ein nützlicher Rat«, bemerkte Lucas.
    Ezra entging sein zweifelnder Ton. Denn sie hatte tatsächlich eine Eingebung. Es gab einen Menschen, der ihr möglicherweise nützlichen Rat zu spenden vermochte, jemand, der ihr schon einmal aus einer Notlage herausgeholfen hatte.
    Sorgfältig verstaute sie die Koranseite wieder in ihrem Kästchen, schlenderte dann wie entrückt ins Nebenzimmer zur Kleidertruhe und öffnete sie. Lucas folgte ihr und beobachtete verwundert, wie sie eines von Dunjas schlichten Gewändern hervorholte und es sich überzog.
    »Was hast du vor?«, fragte er beunruhigt.
    »Ich folge einer Eingebung«, kam es gedämpft aus dem Kleid, das gerade über ihren Kopf glitt.
    »Du willst doch nicht etwa so aus dem Haus gehen?«, fragte er erschrocken.
    »Nein«, sagte Ezra. Sie steckte flugs die Hände in die Waschschüssel, strich sich mit den nassen Fingern das Haar aus dem Gesicht und steckte es fest. »Aber so schon.« Sie sah ihn herausfordernd an.
    »Bitte, Ezra, du darfst dich als Frau draußen nicht sehen lassen!«
    »Als Mann erhalte ich da, wo ich jetzt hingehe, keinen Einlass«, erwiderte Ezra. Sie legte ein dunkles Tuch über Kopf und Schultern, küsste Lucas sanft auf die Lippen und sagte: »Lass mich bitte gehen. Allein. Vertraue meiner Eingebung und frage nicht weiter.«
    Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie auf den offenen Platz vor dem Fachwerkhaus trat. Sie sah sich besorgt um, doch niemand achtete auf die dunkel gekleidete Frau mit dem tief ins Gesicht gezogenen Tuch. Bemüht, die Schritte kurz sowie den Kopf gesenkt zu halten und nicht über ihren Saum zu stolpern, legte Ezra den Weg bis zu dem neu errichteten vierstöckigen Holzgebäude am Waldsaum nahe des Palatiums zurück. Die ganze Zeit über flüsterte sie einen Satz vor sich hin. Um keinen Verdacht zu erregen, würde sie ihn so fehlerfrei wie möglich aussprechen müssen. Sie holte tief Luft, als die Wache vor dem Gebäude nach ihrem Begehr fragte.
    »Ich habe eine Botschaft für Frau Gerswind«, sagte sie in ihrem besten Fränkisch.
    Als tiefgläubiger Mensch bereute Kaiser Karl alle Sünden, die er vor dem Herrn begangen hatte. Sein Amt und seine Natur hatten ihn allerdings immer wieder aufs Neue dazu gebracht, zwei der Zehn Gebote zu brechen. Das eine, nämlich Du sollst nicht töten , war für einen Herrscher, der ein Reich zu einigen und zusammenzuhalten hatte, nicht einhaltbar. Wenn es darum ging, heidnische Sachsen mit Feuer und Schwert vom rechten Glauben zu überzeugen oder sich anderer Feinde des Christenreiches zu erwehren, galt dieses Gebot für ihn nicht. Solange er Menschen im Namen der Kirche tötete oder töten ließ, brauchte er den Zorn des

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