Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
Herrn nicht zu fürchten.
Anders verhielt es sich hingegen beim sechsten Gebot: Du sollst nicht ehebrechen . Da ließ Gott keinerlei Entschuldigung gelten. Doch Karl liebte die Frauen zu sehr, als dass er sich mit seiner jeweiligen Gemahlin allein hätte zufriedengeben können; der Drang nach unterschiedlichen weiblichen Körpern war übermächtig. Sein nicht zu bändigender Trieb machte ihm schwer zu schaffen; da halfen weder Gebete noch Fasten oder Selbstkasteiung. Liutgards Weigerung, das Lager mit ihm zu teilen, hatte er als gerechte Strafe angenommen, die zudem erheblich erträglicher gewesen war, als es der Verzicht auf andere Frauenleiber gewesen wäre.
Nach dem plötzlichen Tod seiner in aller Keuschheit geliebten Gemahlin sah er nun eine Möglichkeit, das sechste Gebot bis ans Ende seines Lebens einhalten und sich so vieler Frauen erfreuen zu können, wie er wünschte: Wenn er niemals mehr heiratete und sich von den Frauen anderer Männer fernhielt, konnte er die Sünde des Ehebruchs vermeiden.
Zudem würde damit kein weiterer im Ehebett gezeugter Sohn das bereits existierende Problem seiner Nachfolge vergrößern. Derzeit galt noch das alte fränkische Erbrecht. Allerdings war das Gesetz dieser speziellen Divisio Regnorum, wonach das Imperium nach Karls Ableben unter den drei Söhnen Karl, Ludwig und Pippin aufgeteilt werden sollte, noch nicht schriftlich erlassen worden. Diese Regelung, die zudem offenließ, welchem der drei die Kaiserkrone zustand, behagte dem Frankenherrscher schon lange nicht sonderlich. Auch viele seiner Berater fürchteten um die Einheit des Reiches. Sie empfahlen dem Kaiser, sich für einen einzigen Nachfolger zu entscheiden, und stritten untereinander über die Eignung der jungen Könige. Einhard wurde nicht müde, die Vorzüge Ludwigs von Aquitanien anzupreisen, wiewohl er genau wusste, dass Karl gerade diesem Sohn am allerwenigsten zutraute, das Werk des Vaters in dessen Sinne fortzuführen.
Im Stillen hatte Karl schon lange vor der Kaiserkrönung erwogen, das gesamte Reich seinem ältesten Sohn Karl zu übertragen. Daher hatte er seine anderen beiden Söhne bereits in deren Kindheitstagen zu Königen ernannt und sie in die ihnen anvertrauten Länder gesandt, den ältesten hingegen bei sich am Hof behalten. Um die besondere Stellung von Karl dem Jüngeren hervorzuheben, war dieser erst ein Jahr zuvor in Rom zum König gesalbt worden. Der Papst hatte dieses Ereignis zum Vorwand genommen, Karl, den Vater, zum Kaiser zu erheben, was dieser als perfide Überrumpelung betrachtete, die er Leo III . nie vergeben würde. Der schändliche Nachfolger des von Karl so hochverehrten Papstes Hadrian hatte sich damit der Welt gegenüber nicht nur als Kaisermacher ins Bild gesetzt, sondern Karl auch der Ehre beraubt, sich unter seiner künftigen Aachen er Kuppel die Kaiserkrone selbst aufzusetzen.
Zudem hatte der Heilige Vater noch die Unverfrorenheit besessen, ihm während dieser höchst unerwünschten Feierlichkeit eine Hochzeit in brevi nahezulegen. Leo freue sich darauf, die erste fränkische Kaiserin zu salben, am liebsten natürlich ebenfalls in Rom.
Das allein wäre schon Grund genug gewesen, niemals mehr zu heiraten. Doch Karl hatte die Entscheidung schon vor der Kaiserkrönung getroffen: Zu seinen Lebzeiten würde es keine Kaiserin geben.
Als Vermächtnis wollte er festlegen, dass sich alle Kaiser, die ihm nachfolgten, in seinem Aachen er Kuppelbau selbst krönen sollten. Das alles lag aber noch in weiter Ferne. Seinen von den vielen anstrengenden Ritten geschundenen Knochen zum Trotz fühlte sich Karl kerngesund und unverwundbar. Sollten seine Kräfte irgendwann nachlassen, würde er nicht zögern, den jungen Karl zum Mitkaiser zu ernennen, und erleben, wie sich dieser in seiner capella unter der Kuppel, die in wenigen Jahren fertiggestellt sein würde, die Kaiserkrone selbst aufs Haupt setzte. Kein Papst würde ihn daran hindern können. Der übel beleumundete Leo hatte ihm nach der Kaiserkrönung im Lateran die Beichte abnehmen wollen, sichtlich voller Begier, nun auch alles über die fleischlichen Gelüste des Herrn der westlichen Welt zu erfahren. Karl hatte mühsam Haltung bewahrt. Er sei von dieser Ehre überwältigt, beschied er dem Mann, den er als Christi Stellvertreter nur zähneknirschend duldete, doch die von Gott geforderte Demut zwinge ihn, seine Verfehlungen auch weiterhin seinem bisherigen Beichtvater, einem einfachen Diener des Herrn, vorzutragen.
Dazu gehörte
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