Die Gabe des Commissario Ricciardi
Schlechten eben auch etwas Gutes entstehen. Und schließlich ist heute Heiligabend.
Endlich ist Heiligabend, und er macht sich einen Spaß daraus, entfernte Dinge zusammenzubringen.
Doktor Modo trocknete sich die Hände und wandte sich an Vincenzinos Eltern:
– Er hat kein Fieber mehr. Zwar ist er noch schwach, aber so wie die Entzündung abklingt, wird er auch wieder lebhaft und hungrig werden. Boccia, ich glaube, von jetzt an müssen Sie mehr fischen: Der kleine Wolf wird viel Futter verschlingen, um wieder auf die Beine zu kommen.
Aristide antwortete gerührt:
– Doktor, glauben Sie mir: Für meinen Kleinen leere ich das ganze Meer. Ich dachte, ich würde ihn verlieren; Sie haben keine Ahnung, wie viele unserer Kinder hier wegen solcher Krankheiten sterben.
– Das glaube ich Ihnen gerne, bei der Feuchtigkeit und der mangelhaften Ernährung überleben nur die kräftigsten. Aber unser Vincenzino hier gehört dazu.
Angelina drehte sich um und hörte einen Augenblick auf, in dem Topf zu rühren, der auf dem Herd stand:
– Herr Doktor, darf ich Sie was fragen? Wo essen Sie denn heut' an Heiligabend? Wartet man zu Hause auf Sie?
Modo seufzte, während er sich seine Jacke überzog:
– Nein, leider nein, Signora, leider wartet niemand auf uns zwei, auf mich und den Hund. Wir werden einen Spaziergang machen und uns eine hübsche Trattoria suchen, wir trinken ein wenig Wein, also ich, der Hund nicht, und gehen schlafen. Natürlich nur, wenn sie uns schlafen lassen: Ein dämlicher Brauch, diese Feuerwerke an Weihnachten; sie füllen bloß die Krankenhäuser mit Verstümmelten.
Die Frau wechselte einen Blick mit ihrem Mann und gebot ihm mit den Augen zu handeln. Also sagte er:
– Herr Doktor, wenn es Ihnen nichts ausmacht, bleiben Sie doch bei uns. Hier ist es Brauch, alles zu kochen, was wir nicht auf dem Markt verkauft haben; dieses Jahr ist zum Glück wenig übrig geblieben. Danach essen wir alle zusammen mit den Familien der Bootskameraden. Wir sind arme Leute und haben nicht viel zu bieten, aber zumindest geht es fröhlich zu. Was sagen Sie, machen Sie uns die Freude?
Modo rückte seinen Hut nach hinten und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Er sah den Hund an, der mit einem aufgestellten Ohr an der Tür lag.
– Was sagst du dazu, mein Lieber? Wollen wir Heiligabend mit unseren neuen Freunden hier verbringen?
Der Hund bellte ein einziges Mal und wedelte mit dem Schwanz.
– Er bestimmt. Also gut, vielen Dank. Was haben Sie denn Gutes gekocht?
Endlich ist Heiligabend, und er besetzt alle Plätze.
Maione war den ganzen Morgen über still gewesen und Lucia machte sich schon wieder Sorgen. Sie hoffte von ganzem Herzen, dass ihr Mann den furchtbaren Racheplan aufgegeben hatte, der ihr Leben ganz sicher für immer ruiniert hätte.
Zu vieles hatte sie schon verloren: zu viel Glück, zu viel Hoffnung, zu viel Zukunft. Sie würde sich nicht damit abfinden, wieder in einen Albtraum zu stürzen.
Lucia kannte Raffaele: Hätte er einen Ehrenkodex befolgt, der ihm fremd war, wäre er im glimpflichsten Fall für den Rest seiner Tage das Opfer seines eigenen Gewissens gewesen.
Irgendwann hatte er, so als sei er zu einer endgültigen Lösung gelangt, das Haus verlassen und gesagt, er gehe etwas holen, das er vergessen habe. Sie hatte versucht, ihn zurückzuhalten. So kurz vor dem Abendessen, das sie mit so viel Sorgfalt vorbereitet hatte, noch auszugehen, die Kinder alleine zu lassen! Doch er hatte sie beruhigend angelächelt und war gegangen.
In den zwei Stunden, in denen sie auf seine Rückkehr wartete und die ihr wie zwei Jahre vorkamen, hatte Lucia sich an dieses Lächeln geklammert. Dann hatte sie den Schlüssel im Türschloss gehört und mit allem gerechnet, nur nicht mit dem, was sie dann vor sich sah.
Raffaele hatte jemanden mitgebracht. Das Händchen in seiner großen Hand, das Gesicht vor Kälte gerötet und mit zwei Zöpfen, die unter dem Wollmützchen herausschauten, stand
dort im Türrahmen ein kleines verstört aussehendes Mädchen.
Mit Blicken bat ihr Mann sie, ihm keine Fragen zu stellen. Er rief seine größte Tochter, die nur ein Jahr älter war als der kleine Gast, und vertraute ihr das Mädchen an, damit sie ihm in ihrem Zimmer die Puppen zeigen sollte. Erst als er sich vergewissert hatte, dass ihnen niemand zuhörte, sagte er:
– Lucia, ich konnte nicht Weihnachten feiern mit diesem Gedanken im Hinterkopf. Das Mädchen hat innerhalb weniger Tage erst beide Eltern und dann seine
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