Die Gärten des Mondes
irgendeinem anderen Anzeichen menschlicher Besiedlung. Er hockte in einer tundraähnlichen Ödnis an einem einsamen Feuer, und die Luft roch nach verfaulendem Eis. Im Norden und Osten hatte der Horizont einen grünlichen Schimmer, leuchtete beinahe, obwohl kein Mond aufgegangen war, der die Sterne herausgefordert hätte. Kruppe hatte so etwas noch nie zuvor gesehen, und doch war dieses Bild in seinem Geist geformt worden. »Verstörend, in der Tat, erklärt Kruppe. Sind dies etwa instinktive Visionen, die sich aus irgendeinem Grund in diesem Traum entfalten? Kruppe weiß es nicht, und wenn er die Wahl hätte, würde er auf der Stelle in sein warmes Bett zurückkehren.«
Er starrte den flechten- und moosbewachsenen Erdboden an, runzelte die Stirn angesichts der fremdartigen hellen Farben. Er hatte Geschichten über die Rotturm-Ebene gehört, jenes Land weit im Norden, jenseits des Laederon-Plateaus. Sah so die Tundra aus? Er hatte sie sich immer als eine öde Welt ganz ohne Farben vorgestellt. »Doch lies in den Sternen dort oben. Sie schimmern voll jugendlicher Energie, nein, sie funkeln, als würden sie sich über denjenigen amüsieren, der über sie nachdenkt. Während die Erde selbst in gewaltigen roten, orange- und lavendelfarbigen Ausbrüchen errötet.«
Kruppe erhob sich, als von Westen her leiser Donner an sein Ohr drang. In einiger Entfernung bewegte sich eine gewaltige Herde aus braun bepelzten Tieren. Ihr Atem stand als silberne Dampfwolke in der Luft über und hinter ihnen, während sie umherrannten, sich alle gleichzeitig nach dieser oder jener Seite wandten, jedoch immer etwas entfernt blieben. Er beobachtete sie einige Zeit. Schließlich waren sie nahe genug, dass er die rötlichen Streifen in ihrem Fell erkennen konnte und die Hörner, die sich senkten und dann wieder nach oben bogen. Das Land erzitterte, als sie vorüberzogen.
»Seltsam ist das Leben in dieser Welt, wundert sich Kruppe. Ist er denn zurückgereist, zum Anfang aller Dinge?«
»Das bist du«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihm.
Kruppe drehte sich um. »Ah, kommt nur herbei und habt an Kruppes Feuer teil.« Vor sich sah er eine untersetzte Gestalt, die in gegerbte Felle - wahrscheinlich von Rotwild oder ähnlichen Tieren -gekleidet war. Ein graues, von faseriger Haut bedecktes Geweih ragte aus der flachen Kappe, die der Mann auf dem Kopf trug. Kruppe verbeugte sich. »Vor Euch steht Kruppe aus Darujhistan.«
»Ich bin Pran Chole von Cannig Tols Clan, von den Kron T'lan.« Pran trat näher heran und hockte sich ans Feuer. »Ich bin auch der Weiße Fuchs, Kruppe, der die Wege des Eises kennt.« Er sah Kruppe an und lächelte.
Prans Gesicht war breit, die Knochen unter der glatten, goldenen Haut deutlich ausgeprägt. Seine Augen waren zwischen den zusammengekniffenen Lidern kaum zu erkennen, doch was Kruppe von ihnen sah, war von überraschend bernsteingelber Farbe. Pran hielt lange, geschmeidige Hände über das Feuer. »Feuer ist Leben, und Leben ist Feuer. Das Zeitalter des Eises geht zu Ende, Kruppe. Wir haben lange hier gelebt, haben die großen Herden gejagt, haben uns zum Krieg mit den Jaghut in den Südlanden versammelt, wurden geboren und sind gestorben mit dem Anschwellen und Abnehmen der gefrorenen Flüsse.«
»So ist Kruppe denn wirklich weit gereist.«
»Zum Anfang und zum Ende. Meine Art macht deiner Art Platz, Kruppe, obwohl die Kriege nicht aufhören. Was wir euch geben werden, ist, von solchen Kriegen frei zu sein. Die Jaghut werden weniger und ziehen sich zu verbotenen Orten zurück. Die Forkrul Assail sind verschwunden, obwohl wir niemals die Notwendigkeit verspürt haben, gegen sie zu kämpfen. Und die K'Chain Che'Malle sind nicht mehr- das Eis hat zu ihnen Worte des Todes gesprochen.« Pran richtete seinen Blick auf das Feuer. »Unsere Jagden haben den Tod zu den großen Herden gebracht, Kruppe. Wir werden nach Süden getrieben, und das darf nicht sein. Wir sind die T'lan, aber bald kommt die Große Zusammenkunft, wie das Ritual von Imass und die Wahl der Knochenwerfer genannt werden soll, und dann kommt die Trennung vom Fleisch, von der Zeit selbst. Mit der Großen Zusammenkunft werden die T'lan Imass geboren werden und das Erste Imperium.«
»Kruppe fragt sich, warum er wohl hier ist.«
Pran Chole zuckte die Schultern. »Ich bin gekommen, weil ich gerufen wurde. Ich weiß nicht, von wem. Möglicherweise ist es dir ebenso ergangen.«
»Aber Kruppe träumt. Das hier ist Kruppes Traum.«
»Dann fühle ich
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