Die Gärten des Mondes
was? Kannst du es auch mit Scharteke aufnehmen?
Sie legte ihre Schwingen an und ging in den Sturzflug. Pfeifend strich die Luft an ihrem Gefieder entlang. Sie wob einen Halbschatten aus schützender Magie, der sie gerade vollständig umgab, als die kleine Gestalt stehen blieb und aufschaute. Wie aus weiter Ferne hörte Scharteke manisches Gelächter aufsteigen, dann begann die Puppe zu gestikulieren.
Die Macht, die über ihr zusammenschlug, war gewaltig - viel, viel größer, als sie erwartet hatte. Ihre Abwehr hielt, doch sie fühlte sich hin und her gestoßen, als ob von allen Seiten Fäuste auf sie einschlagen würden. Vor Schmerzen schrie sie auf, während sie, um die eigene Achse wirbelnd, dem Erdboden entgegenstürzte. Sie benötigte all ihre Kraft und ihren ganzen Willen, um ihre zerschlagenen Flügel auszubreiten und einen aufsteigenden Luftstrom zu erwischen. Während sie immer höher in den Nachthimmel kletterte, stieß sie ein empörtes, erschrockenes Kreischen aus. Ein Blick nach unten verriet ihr, dass die Puppe wieder in ihr Gewirr zurückgekehrt war, denn es war nichts Magisches mehr zu sehen.
»Ah«, seufzte sie. »Welch hoher Preis, um Wissen zu erlangen! Tatsächlich ein Älteres Gewirr, das älteste von allen. Wer spielt mit dem Chaos? Scharteke weiß es nicht. Alle Dinge sammeln sich, sammeln sich hier.« Sie fand eine andere Luftströmung und wandte sich nach Süden. Dies hier war etwas, das Anomander Rake erfahren musste, unabhängig von Caladan Bruths Anweisungen, den Lord der Tiste Andii so wenig wie möglich wissen zu lassen. Rake war in manchen Dingen fähiger, als Bruth glaubte. »Zum Beispiel, wenn es um Zerstörung geht.« Scharteke lachte. »Und ums Töten. Er ist gut im Töten!«
Sie wurde schneller und bemerkte daher den toten Fleck auf der Ebene unter ihr nicht, genauso wenig wie die Frau, die in seiner Mitte lagerte. Aber dort gab es auch keine Magie, nein, überhaupt keine.
Mandata Lorn hockte neben ihrer Bettrolle; ihre Augen suchten den Nachthimmel ab. »Tool, hat all das etwas mit dem zu tun gehabt, was wir vor zwei Nächten gesehen haben?«
Der T'lan Imass schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, Mandata. Wenn überhaupt, dann beunruhigt mich dies hier mehr. Es ist Zauberei, und es schert sich nicht um die Barriere, die ich um uns herum errichtet habe.«
»Wie das?«, fragte sie leise.
»Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, Mandata. Es ist das Ältere, ein verlorenes, jahrtausendealtes Gewirr aus der Vergangenheit, das zu uns zurückgekehrt ist. Wer immer es benutzt, verfolgt uns aus einem bestimmten Grund; davon sollten wir ausgehen.«
Lorn sank müde in sich zusammen, dann straffte sie ihren Rücken, spürte ihre Wirbelsäule knacken. »Riecht es nach Schattenthron?«
»Nein.«
»Dann würde ich nicht davon ausgehen, dass es uns verfolgt, Tool.« Sie warf einen Blick auf ihre Bettrolle.
Tool wandte sich zu ihr um und sah schweigend zu, wie sie sich schlafen legte. »Mandata«, sagte er. »Wer immer uns jagt, scheint in der Lage zu sein, meine Verteidigung zu durchdringen, und daher könnte dieses Wesen das Portal seines Gewirrs direkt hinter uns öffnen, wenn es uns erst einmal gefunden hat.«
»Ich fürchte keine Magie«, murmelte Lorn. »Und jetzt lass mich schlafen.«
Der T'lan Imass verstummte, doch er starrte die Mandata weiter an, während die Stunden der Nacht verstrichen. Tool bewegte sich ein wenig, als die Morgendämmerung im Osten aufzog, und verfiel dann wieder in Reglosigkeit.
Gähnend rollte Lorn sich auf den Rücken, als das Sonnenlicht ihr Gesicht erreichte. Sie öffnete die Augen und blinzelte schnell, dann erstarrte sie. Langsam hob sie den Kopf und sah den T'lan Imass direkt über sich stehen. Und nur wenige Fingerbreit von ihrer Kehle entfernt, schwebte die Spitze des Steinschwerts in der Luft.
»Erfolg erfordert Disziplin, Mandata«, sagte Tool. »Letzte Nacht sind wir Zeugen eines Ausbruchs von Älterer Magie geworden, die sich Raben als Ziele erwählt hat. Raben, Mandata, fliegen normalerweise nicht nachts. Ihr mögt glauben, dass die Verbindung unserer beider Fähigkeiten unsere Sicherheit garantiert. Aber das ist keine Garantie, Mandata.« Der T'lan Imass zog seine Waffe zurück und t rat einen Schritt zur Seite.
Lorn holte zittrig Luft. »Das war ein Fehler, den ich hiermit zugebe, Tool«, sagte sie und räusperte sich, ehe sie fortfuhr. »Ich danke dir, dass du mir meine wachsende Selbstgefälligkeit bewusst gemacht hast.«
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