Die Gärten des Mondes
mich geehrt.« Pran streckte sich. »Es kommt jemand aus deiner Zeit. Vielleicht besitzt er die Antworten, die wir suchen.«
Kruppe folgte Prans Blicken, die sich nach Süden richteten. Er hob eine Augenbraue. »Wenn er sich nicht irrt, erkennt Kruppe, dass es eine Rhivi ist.«
Die Frau, die näher kam, mochte mittleren Alters sein, und sie war hochschwanger. Ihr dunkles, rundes Gesicht wies eine gewisse Ähnlichkeit zu dem von Pran Chole auf, doch waren ihre Gesichtszüge insgesamt etwas weniger ausgeprägt. In ihren Augen schimmerte Furcht, aber auch eine grimmige Entschlossenheit. Sie kam ans Feuer und betrachtete die beiden Männer, wobei sie den Großteil ihrer Aufmerksamkeit Pran Chole zuwandte. »T'lan«, sagte sie, »das Teilann-Gewirr der Imass unserer Zeit hat in einem Zusammenfluss magischer Kräfte ein Kind geboren. Seine Seele wandert verloren umher. Sein Fleisch ist ein Gegenstand des Abscheus. Es muss eine Seelenwanderung stattfinden.« Sie drehte sich zu Kruppe um, schlug das dicke, grob gewebte Gewand zurück, das sie trug, und entblößte dabei ihren geschwollenen Bauch. Die prall gespannte Haut war vor kurzem mit einer Tätowierung versehen worden, mit dem Bild eines weißen Fuchses. »Der Ältere Gott wandelt wieder durch die Welt, geweckt vom Blut, das auf geweihtem Stein vergossen wurde. K'rul ist als Antwort auf die Not dieses Kindes gekommen und steht uns jetzt in unserem Streben bei. Er entschuldigt sich bei dir, Kruppe, dass er die Welt in deinem Traum benutzt, doch diesen Ort kann kein jüngerer Gott beeinflussen. Es muss dir irgendwie gelungen sein, deine Seele gegen sie immun zu machen.«
»Eine der Belohnungen für Zynismus«, sagte Kruppe und neigte den Kopf.
Die Frau lächelte.
»Ich verstehe«, sagte Pran Chole. »Du willst aus diesem Kind, das aus den Kräften der Imass geboren wurde, einen Wechselgänger machen.«
»Ja. Es ist das Beste, was wir tun können, T'lan. Eine Gestaltwandlerin - die wir auch als Wechselgängerin kennen - muss geformt werden.«
Kruppe räusperte sich. »Entschuldigt Kruppe, bitte, aber fehlt nicht noch jemand, der für diesen Plan lebenswichtig ist?«
»Sie schreitet durch zwei Welten«, sagte die Rhivi. »K'rul geleitet sie jetzt in die deine. Sie hat noch immer Angst. Es ist an dir, Kruppe, sie willkommen zu heißen.«
Kruppe rückte die Ärmel seines verschossenen, abgetragenen Mantels zurecht. »Das sollte sich für jemanden mit Kruppes Charme als nicht besonders schwierig erweisen.«
»Vielleicht doch«, meinte die Rhivi und runzelte die Stirn. »Ihre Erscheinung ist abscheulich. Ich habe dich gewarnt.«
Kruppe nickte leutselig, dann blickte er sich um. »Egal, in welche Richtung?«
Pran Chole lachte.
»Ich schlage Süden vor«, sagte die Rhivi.
Kruppe zuckte die Schultern, verbeugte sich vor seinen beiden Gefährten und machte sich in Richtung Süden auf den Weg. Nach ein paar Minuten warf er einen Blick zurück, doch das Feuer war nirgendwo zu sehen. Er war allein in der kühlen Nacht.
Der Vollmond schob sich über den östlichen Horizont, übergoss das Land mit silbernem Licht. So weit Kruppe sehen konnte, erstreckte sich die Tundra vor ihm flach und konturlos. Dann zuckte er zusammen. Gerade eben war etwas erschienen, immer noch in einiger Entfernung, und es schien große Schwierigkeiten beim Laufen zu haben. Er sah, wie es hinfiel und sich wieder auf die Beine kämpfte. Trotz des Mondlichts wirkte die Gestalt schwarz.
Kruppe schritt vorwärts. Die Gestalt hatte ihn noch nicht gesehen, und er blieb stehen, als er noch knapp dreißig Fuß von ihr entfernt war. Die Rhivi hatte Recht gehabt. Kruppe zog sein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß ab, der ihm plötzlich auf die Stirn getreten war. Die Gestalt war einst eine Frau gewesen, groß, mit langen schwarzen Haaren. Doch diese Frau war schon lange tot. Ihr Fleisch war verdorrt und hatte das Aussehen von dunklem Holz angenommen. Das Schrecklichste an ihr waren jedoch die Gliedmaßen, die grob wieder an ihrem Körper befestigt worden waren. »Oh, oh«, flüsterte Kruppe. Diese Frau war einst in Stücke gerissen worden.
Der Kopf der Frau ruckte herum, und blicklose Augen hefteten sich auf Kruppe. Sie blieb stehen. Ihr Mund öffnete sich, doch es drangen keine Worte heraus.
Verstohlen legte Kruppe einen Zauberbann über sich selbst, dann sah er sie wieder an. Er runzelte die Stirn. Ein Zauber war um die Frau gewoben worden. Ein Zauber des Bewahrens. Aber irgendetwas war
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