Die Gärten des Mondes
»Darujhistan.« Er seufzte. »Meine Güte, du bist wirklich ein Wunder, was ... ?«
Rallick zog sich ein weiteres kleines Stückchen in die Höhe. Seine Arme und Beine zitterten vor Erschöpfung. Wenn diese Seite des Glockenturms nicht den ganzen Morgen über im Schatten liegen würde, wäre er längst entdeckt worden. Doch auch so würde er nicht mehr lange verborgen bleiben.
Es wäre Selbstmord gewesen, hätte er in der Dunkelheit die Treppen genommen. Ozelot hatte bestimmt überall Alarm-Vorrichtungen angebracht, schließlich war er kein Narr und wusste, wie man sich den Rücken frei hielt.
Wenn er überhaupt da oben war, wie Rallick sich selbst immer wieder einschärfte. Wenn nicht, befand sich Coll in ernsten Schwierigkeiten. Rallick hatte keine Ahnung, ob sein Freund bereits am Stadttor angekommen war, und die Stille, die oben auf dem Glockenturm herrschte, konnte alles Mögliche bedeuten. Er machte eine Pause, um sich auszuruhen und nach oben zu schauen. Noch zehn Fuß -die gefährlichsten zehn Fuß. Er war so erschöpft, dass er sich einfach nur noch festhalten konnte. Jetzt war es unmöglich, sich noch lautlos zu nähern. Sein einziger Vorteil lag in der Tatsache, dass Ozelot seine Aufmerksamkeit nach Osten richten würde, während er an der Westseite des Turms hochkletterte.
Er holte ein paar Mal tief Luft und tastete nach einen neuen Griff.
Passanten blieben stehen und sahen zu, wie Paran und Coll sich langsam durch Sorgenstadt auf das Stadttor zubewegten. Paran kümmerte sich nicht um sie oder um die Fragen, die sie ihnen zuriefen, sondern konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die beiden Wachposten am Tor. Sie hatten ihn und Coll bereits entdeckt und warteten auf sie.
Als sie beim Tor ankamen, machte Paran ein Zeichen, dass sie hindurch reiten wollten. Der eine Wachposten nickte, während der andere zu Paran herüberkam und sich neben ihn stellte. »Euer Freund braucht einen Arzt«, sagte er. »Wenn Ihr drinnen warten wollt - in fünf Minuten kann einer hier sein.«
Paran lehnte das Angebot dankend ab. »Wir müssen das Phoenix finden. Ich komme aus dem Norden und war noch nie hier. Dieser Mann hat gesagt, ich soll ihn ins Phoenix bringen, und genau das werde ich auch tun.«
Der Wachposten schien seine Zweifel zu haben. »Würde mich wundern, wenn er es noch so weit schaffen sollte. Aber wenn Ihr wirklich dorthin wollt, dann können wir Euch zumindest eskortieren.«
Als sie aus dem Schatten des Tores traten, stieß der andere Wachposten einen überraschten Ruf aus.
Paran hielt den Atem an, als der Mann dicht an Coll herantrat. »Den kenne ich«, sagte er. »Das ist Coll Jhamin, vom Haus Jhamin. Ich habe unter seinem Kommando gedient. Was ist passiert?«
»Ich dachte, Coll wäre vor ein paar Jahren gestorben«, sagte der andere Wachposten.
»Ich geb einen Dreck auf die Urkunden«, schnappte sein Kamerad. »Ich weiß, was ich weiß, Vildron. Und das hier ist Coll, ganz sicher.«
»Er will zum Phoenix«, sagte Paran zu dem Mann. »Das war das Letzte, was er gesagt hat.«
Der Wachposten nickte. »Aber dann sollten wir es richtig machen.« Er drehte sich zu seinem Kameraden um. »Falls es irgendwelchen Ärger geben sollte, nehm ich das hier auf meine Kappe, Vildron. Bring mir den Wagen - er müsste noch angeschirrt sein, oder?« Er lächelte Paran an. »Ich danke Euch, dass Ihr ihn bis hierher gebracht habt. Es gibt noch immer einige in der Stadt, die Augen haben und sehen können - und mir ist es egal, was die Hochwohlgeborenen flüstern. Wir legen ihn ganz hinten auf den Wagen, da wird er weniger durchgeschüttelt.«
Paran entspannte sich. »Ich danke Euch, Soldat.« Er schaute an dem Mann vorbei, begierig, so viel wie möglich von der Stadt zu sehen, jetzt, da die Stadtmauer hinter ihm lag. Direkt vor ihnen ragte ein buckliger Hügel auf, dessen Flanken von verkrüppelten Bäumen und Unkraut überwuchert waren. Auf seiner Kuppe kauerte irgendein Tempel, der wohl schon vor langer Zeit verlassen worden war; aus seiner Mitte erhob sich ein quadratischer Turm, dessen Dach mit Bronzeschindeln bedeckt war. Als Parans Blick über die zu den Seiten hin offene Plattform des Glockenturms glitt, sah er eine Bewegung. Er blinzelte.
Rallick schob vorsichtig den Kopf über die Kante der Plattform. Er hätte beinahe laut aufgekeucht. Der Glockenturm war leer. Dann erinnerte er sich an Ozelots Zauberei. Mit angehaltenem Atem spannte er noch einmal die bleiernen Arme an und zog sich flach auf die
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