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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Magie. Die Brückenverbrenner standen in dem Ruf, ein ziemlich hartgesottener Haufen zu sein, doch die Gewirre entlangzuwandern, die dem Chaos am nächsten waren, war heller Wahnsinn. Oder Verzweiflung.
    Fast von selbst öffnete sich ihr Thyr-Gewirr, und eine Woge der Macht strömte in ihren müden Körper. Ihre Augen richteten sich auf den Kartenstapel.
    Locke musste es gespürt haben. »Flickenseel«, flüsterte er mit einem belustigten Unterton in der Stimme. »Komm. Das Fatid ruft dich. Lies, was gelesen werden muss.«
    Zutiefst verunsichert von der in ihr aufwallenden Erregung, griff Flickenseel zögernd nach den Drachenkarten. Sie sah, wie ihre Hand zitterte, als sie sich um den Kartenstapel schloss. Sie mischte langsam, spürte, wie die Kühle der lackierten Holzkarten in ihre Finger drang, ihre Arme hinaufkroch. »Ich fühle schon jetzt, dass ein Sturm in ihnen tobt«, sagte sie, richtete den Stapel aus und legte ihn auf die Tischplatte.
    Lockes Antwort war ein gieriges, schäbiges Lachen. »Das Erste Haus gibt die Richtung an. Mach schnell!«
    Sie drehte die oberste Karte um. Ihr stockte der Atem. »Der Ritter des Dunkels.«
    Locke seufzte. »Natürlich. Der Herr der Nacht lenkt dieses Spiel.«
    Flickenseel studierte die gemalte Figur. Das Gesicht war verschwommen, wie immer; der Ritter war nackt, seine Haut tiefschwarz. Von den Hüften aufwärts war er menschlich und sehr muskulös; er hielt ein schwarzes Zweihand-Schwert in die Höhe, von dem rauchige, ätherische Ketten in die leere Dunkelheit des Hintergrunds davontrieben. Der untere Teil seines Körpers war der eines Drachen, mit schwarzen Schuppen, die zum Bauch hin grau wurden. Wie immer sah sie etwas Neues, etwas, das sie nie zuvor gesehen hatte, das genau diesen Augenblick betraf. In der Dunkelheit über dem Kopf des Ritters schwebte ein Schatten; sie konnte ihn nur aus den Augenwinkeln wahrnehmen - eine vage Andeutung, die verschwand, wenn sie die Stelle genauer betrachtete. Du gibst die Wahrheit natürlich niemals so einfach preis, was?
    »Die zweite Karte«, drängte Locke, der neben dem Spielfeld kauerte, das auf der Tischplatte eingezeichnet war.
    Sie drehte die zweite Karte um. »Oponn.« Der zweigesichtige Narr des Zufalls.
    »Der Fluch des Vermummten treffe sie für ihre Angewohnheit, sich einzumischen«, brummte Locke.
    Die Lady war oben, während ihr Zwillingsbruder seinen nachdenklichen Blick, auf dem Kopf stehend, vom Fuß der Karte ausschickte. Das war der Faden des Glücks, der zurückzog, statt vorwärts zu stoßen - der Faden des Erfolgs. Der Gesichtsausdruck der Lady war weich, fast zärtlich, eine neue Facette, die darauf hinwies, welches Gleichgewicht jetzt herrschte. Ein zweites, bisher nie gesehenes Detail fiel Flickenseel ins Auge. Wo die rechte Hand des Lords nach oben griff, um die Linke der Lady zu berühren, lag zwischen ihren Händen eine winzige silberne Scheibe. Die Zauberin beugte sich blinzelnd vor. Eine Münze, auf deren Oberseite das Gesicht eines Mannes geprägt war. Sie blinzelte. Nein, das Gesicht einer Frau. Eines Mannes. Einer Frau. Sie setzte sich abrupt wieder auf. Die Münze drehte sich.
    »Die nächste Karte!«, forderte Locke sie auf. »Du bist zu langsam.«
    Flickenseel sah, dass die Marionette der Karte Oponn nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte; sie hatte vermutlich nur einen kurzen Blick darauf geworfen, um zu wissen, welche es war. Sie holte tief Luft. Locke und die Brückenverbrenner waren in diese Geschichte verstrickt, das wusste sie instinktiv, aber ihre eigene Rolle war noch nicht entschieden. Mit diesen beiden Karten wusste sie bereits mehr als die anderen. Es war zwar immer noch nicht viel, aber es mochte ausreichen, um zunächst einmal ihr Überleben zu sichern. Sie stieß die Luft aus, beugte sich vor und knallte die Hand auf den Kartenstapel.
    Locke schoss in die Höhe, wirbelte zu ihr herum. »Du setzt auf den Narren? Auf die zweite Karte?«, schrie er wutentbrannt. »Das ist absurd! Mach weiter, blödes Weib!«
    »Nein«, erwiderte Flickenseel, schob die beiden Karten zusammen und legte sie wieder auf den Stapel. »Ich habe mich entschlossen, hier aufzuhören. Und du kannst nichts, aber auch gar nichts dagegen tun.« Sie stand auf.
    »Hexe! Ich kann dich auf der Stelle töten! Schneller als du mit den Augen zwinkern kannst!«
    »Wunderbar«, sagte Flickenseel. »Eine gute Entschuldigung, um nicht an der Besprechung mit Tayschrenn teilnehmen zu müssen. Nur zu, Locke, lass dich nicht

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