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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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alchemistischer Geräte, die auf dem Tisch neben ihrem Feldbett so verstreut herumlagen wie Kinderspielzeug, das mitten im Spielen vergessen worden war.
    Und inmitten des Durcheinanders lagen ihre Drachenkarten. Ihr Blick blieb an den magischen Karten hängen, ehe er weiterwanderte. Alles sah jetzt anders aus, als würden die Truhe, die alchemistischen Geräte und ihre Kleider einer anderen, jüngeren Frau gehören - einer Frau, die noch immer einen letzten Rest Eitelkeit besaß. Nur das Spiel - das Fatid — schien ihr zuzuwinken wie ein alter Freund.
    Flickenseel ging hinüber und blieb vor dem Tisch stehen. Abwesend legte sie das Bündel beiseite, das Kalam ihr gegeben hatte, und zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor. Sie setzte sich hin, griff nach den Karten - und zögerte.
    Es war schon Monate her. Irgendetwas hatte sie immer davon abgehalten. Vielleicht hätten die Karten Calots Tod vorhergesagt, und vielleicht hatte sie im Geheimen, ganz tief in ihrem Innern, diesen Verdacht schon einige Zeit gehegt. Schmerz und Angst hatten ihre Seele ihr ganzes Leben lang geprägt, aber ihre Zeit mit Calot hatte sie auf andere Weise geformt, hatte ihr das Gefühl von Leichtigkeit, Glück, sanftem Dahintreiben gegeben.
    »Ich war schon immer gut darin, etwas halsstarrig zu leugnen.« Sie hörte die Bitterkeit in ihrer Stimme und hasste sich dafür. Die alten Dämonen waren zurückgekehrt und lachten über den Tod ihrer Illusionen. Du hast die Karten schon einmal zurückgewiesen, in jener Nacht, bevor Mock die Kehle durchgeschnitten wurde, in jener Nacht, bevor Tanzer und der Mann, der eines Tages ein Imperium regieren würde, sich in die Feste deines Herrn - deines Geliebten -gestohlen haben. Willst du immer noch leugnen, dass all dem ein Muster zu Grunde liegt?
    Vor ihren Augen stiegen verschwommene Erinnerungen auf, die sie für immer begraben gewähnt hatte. Sie blinzelte und sah hinab auf den Kartenstapel. »Willst du mit mir sprechen, alter Freund? Brauche ich deine Mahnung, deine sarkastische Bestätigung, dass Treue nur etwas für Narren ist?«
    Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Was auch immer sich in dem verschnürten Hautbündel befinden mochte, es hatte sich bewegt. Hier und dort bildeten sich Beulen, drückten gegen die Nähte. Flickenseel starrte das Gebilde an. Dann holte sie tief Luft, griff nach dem Bündel und legte es vor sich auf den Tisch. Sie zog einen kleinen Dolch aus dem Gürtel und begann, die Nähte aufzutrennen. Das Ding in dem Bündel hörte auf, sich zu bewegen, als wollte es das Ergebnis ihrer Tätigkeit abwarten. Sie schlug ein eingeschnittenes Stück Haut zurück.
    »Hallo, Seel«, sagte eine bekannte Stimme.
    Ihre Augen weiteten sich, als eine in leuchtend gelbe seidene Gewänder gehüllte hölzerne Marionette aus dem Bündel kletterte. Auf das runde Gesicht waren Züge gemalt, die sie sofort erkannte. »Locke!«
    »Es ist schön, dich wieder zu sehen«, sagte die Marionette und stellte sich auf ihre hölzernen Füße. Sie schwankte hin und her und streckte kunstvoll gearbeitete Hände aus, um das Gleichgewicht zu halten. »Und die Seele ist gewandert«, sagte sie, lüftete ihren Schlapphut und verbeugte sich wackelig.
    Seelenwanderung. »Aber dieses Wissen ist seit Jahrhunderten vergessen. Nicht einmal Tayschrenn ...« Sie verstummte, schürzte die Lippen. Ihre Gedanken rasten.
    »Später«, sagte Locke. Er machte ein paar Schritte, beugte dann den Kopf, um seinen neuen Körper zu studieren. »Nun ja«, seufzte er, »man darf wohl nicht allzu wählerisch sein ...« Er sah auf und starrte die Zauberin aus aufgemalten Augen an. »Du musst in mein Zelt gehen, ehe Tayschrenn auf die Idee kommt. Ich brauche mein Buch. Du bist jetzt an der Sache beteiligt. Es gibt kein Zurück mehr.«
    »Woran soll ich beteiligt sein?«
    Locke antwortete nicht, aber er starrte sie auch nicht mehr mit diesen unheimlichen Augen an. Er ließ sich auf die Knie sinken. »Hab doch gedacht, ich hätte ein Spiel gerochen«, sagte er.
    Flickenseel spürte wahre Bäche aus kaltem Schweiß ihren Körper hinunterrinnen. Locke hatte bereits zu seinen besten Zeiten dafür gesorgt, dass sie sich unbehaglich gefühlt hatte, aber das hier ... Sie konnte ihre eigene Angst riechen. Im Augenblick war sie selbst für kleine Zugeständnisse dankbar, wie, dass er aufgehört hatte, sie anzustarren. Dies war Ältere Magie - Kurald Galain, wenn die Legenden wahr waren -, eine tödliche, bösartige, rohe und ursprüngliche

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