Die galante Entführung
»Falls er je davon hört! Hat er denn vor, nach Bath zurückzukehren, Ma’am?«
Sie sprach geflissentlich gleichgültig, Mrs. Leavening ließ sich jedoch nicht täuschen. Das spöttische Glitzern in ihren Augen trieb Abby das Blut in die Wangen, aber Mrs. Leavening sagte nur: »Nun, meine Liebe, da seine Zimmer im York House für ihn reserviert bleiben, ist zu hoffen, daß er zurückkehrt.«
Es war der einzige Sonnenstrahl, der seit Tagen durch die Miss Abigail umgebenden Wolken drang. Sie machte eine Zeit der Prüfung durch, für die nicht Miles Calverleigh allein, sondern auch ihre liebe Schwester und ihre geliebte Nichte verantwortlich waren.
Die Influenza hatte Fanny reizbar und niedergeschlagen gemacht. Dr. Rowtons Ausspruch war ganz unnötig, daß diese für sie so wenig bezeichnende Stimmung ihrer Krankheit zuzuschreiben und es nur zu erwarten gewesen sei. Abby wußte das, aber weder ihre Vernunft noch die Versicherung des Arztes machten es ihr leichter, die äußerst ermüdenden Anforderungen geduldig zu ertragen, die durch eine Genesende an sie gestellt wurden. Wenn sie nicht gerade in eine ihre ganze Umgebung ansteckende Schwermut versunken war, fand Fanny zänkisch an allem Fehler, ob es die Stärke des Tees war, der ihr ins Zimmer hinaufgebracht wurde, oder die unerträgliche 1 Langeweile der Bücher, die Abby in Meylers Bibliothek so hoffnungsvoll ausgesucht hatte. Oder sie starrte grollend aus einem regenbetropften Fenster zu einem bleiernen Himmel empor und seufzte: »Wenn es bloß zu regnen aufhörte! Wenn ich bloß ausgehen könnte!«
Die arme kleine Fanny, sagte Selina, war gar nicht mehr ihr altes fröhliches Ich – ein Understatement, das in Abbys umschatteten Augen einen Funken Vergnügen entzündete. Dr. Rowton sagte in seiner kurz angebundenen Art zu Abby, je früher sie damit aufhörte, Fanny nachzugeben, um so besser wäre es für sie und auch für Fanny. Dr. Rowton wußte freilich nicht, daß es eine andere und tiefere Ursache von Fannys Grillen als die Influenza gab. Abby wußte es, und selbst wenn sie ihrem lästigen Liebling am liebsten eine Ohrfeige gegeben hätte, so flog ihr Herz doch Fanny zu. Sie selbst litt ja an der ziemlich gleichen Krankheit, und wäre sie siebzehn statt achtundzwanzig gewesen, dann hätte sie sich zweifellos genauso der Verzweiflung überlassen, wie Fanny jetzt. Wenn schon Fannys Melancholie Abbys Nerven eine ernste Spannung auferlegte, so war es Selina, die sie wundrieb und Abbys Selbstbeherrschung zusammenbrechen ließ.
Selina hatte Mrs. Clapham gesehen und wußte, daß es alles nur allzu wahr war. Sie hatte sie in der Trinkhalle erblickt, wohin sie ein Stich Rheumatismus entsandt hatte (den Elementen in ihrem Wagen bei aufgezogenem Dach trotzend). Sie hatte zuerst nicht gewußt, wer die Frau war, denn wie sollte sie auch? Sie hatte bloß gedacht, daß der Hut, den sie trug, vorzüglichen Stil hatte (obwohl sie viel später erkannte, daß er zuviele Federn besaß und in einer unangenehmen Purpurschattierung war, abgesehen davon, daß es ein höchst unpassender Hut für eine Witwe war), als die liebe Laura Butterbank ihr zuflüsterte, daß sei Mrs. Clapham.
»Was ein höchst unerfreulicher Schock war, wie du annehmen kannst, und mir fast einen meiner entsetzlichen Krämpfe eintrug. Zum Glück hatte ich mein Riechfläschchen im Retikül mit, denn gerade als ich dachte, daß mir ihr Anblick überhaupt nicht gefiel (nicht, daß ich ihr Gesicht gesehen hätte, denn sie stand mit dem Rücken zu mir, aber man kann es immer danach wissen), wen erblicke ich? Den jungen Calverleigh, der auf sie zuging, und mit diesem betrügerischen Lächeln, ganz Entzücken und Herzlichkeit, als sei er nicht wochenlang hinter Fanny hergelaufen! Und, Abby, er hatte die Unverschämtheit, mich zu schneiden! Es nützt nichts zu sagen, er hätte mich nicht gesehen, denn ich bin überzeugt, das hat er, denn er hat sich sehr vorgesehen, nicht wieder in meine Richtung zu blicken, abgesehen davon, daß er mit diesem ordinären Geschöpf fast sofort wegging. Wenn ich mich erinnere, wie er sich in diesem unserem Haus eingenistet, sich eingedrängelt hat – zumindest hat er das bis zu deiner Heimkehr getan, und bis du ihn abfahren ließest. Obwohl ich es damals für ein bißchen unfreundlich von dir gehalten habe, hattest du vollkommen recht, was ich offen zugebe. Nun, Liebste, ich war fast überwältigt, und ich zitterte so sehr, daß ich nicht weiß, wie ich imstande war, den Wagen zu
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