Die galante Entführung
nächster Besuch einem Haus in Bloomsbury, wo er seine Karte hineinsandte. Miss Abigail Wendover hätte diesen Ausflug sicherlich nicht gebilligt.
In einen Salon geführt, begutachtete Mr. Calverleigh noch immer höchst anerkennend die elegante Einrichtung, als die Dame, die er besuchen wollte, mit seiner Karte in der Hand das Zimmer betrat und ausrief: »Du bist es! Guter Gott! Ich konnte es einfach nicht glauben!«
Mr. Calverleigh tat mit lachenden Augen zwei lange Schritte auf sie zu, fing sie in seine Arme ein und küßte sie herzhaft.
Sie erwiderte den Kuß, sagte jedoch: »Also jetzt Schluß damit! Du sollst wissen, daß ich nun eine ehrbare Person bin!«
Mr. Calverleigh brach tadelnswerterweise in brüllendes Gelächter aus.
»Na, du weißt doch, wie ich das meine!« sagte die Dame etwas zurückhaltend.
»Aber sicher! Wer hat dir denn die Moneten dazu gegeben, Dolly?«
»Oh, das war ein richtiger Bruder Liederlich!« enthüllte sie. »Du hast ihn nicht gekannt, weil er lang nach deiner Zeit war. Ich hab ihn nie auch nur halb so gern gemocht wie dich, aber er war stinkreich, und ich muß sagen, er hat mächtig geblecht. Was ich natürlich meine, ist, er war mir gegenüber sehr großzügig«, verbesserte sie sich in einem plötzlichen Anfall von erschreckender Korrektheit.
Mr. Calverleigh blieb unbeeindruckt. »Nein, ist es wirklich das, was du damit meinst? Also klettere jetzt von deiner Höhe wieder hübsch herunter. Erinnerst du dich noch an den Abend, als eine Gesellschaft von uns einen Bummel in Tothill Fields machte und du eine Flasche ›Stark Naked‹ auf dem Kopf des Burschen zertrümmert hast, weil er versuchte, mir die Augen auszustechen?«
»Nein, ich erinnere mich nicht!« sagte sie scharf. »Und wenn du nicht in eine Rauferei mit einem Preisboxer und ein paar Bierkutschern geraten wärst, weil du besoffen wie ein Schwein warst, dann hätte ich mich nicht dazu erniedrigen müssen! Falls ich so etwas überhaupt getan haben sollte, woran ich mich aber gar nicht erinnere!«
»Da muß ich dich mit einer anderen verwechseln«, sagte Mr. Calverleigh nachgiebig. »Wie hieß denn eigentlich jenes appetitliche Stückchen, das Tom Plumley mitgebracht hatte?«
»Dieses fette Stück!« rief sie mit einer vor Verachtung bebenden Stimme. »Die hatte ja nicht genug Schneid, um eine Küchenschabe auf den Kopf zu hauen! Also Miles, jetzt gib’s auf, komm! Ich sage ja nicht, daß ich nicht froh bin, dich wiederzusehen, es ist wie ein Hauch alter Zeiten – aber das ist ja der Jammer! Dich sehen, und ich vergesse mich und fang wieder ordinär zu reden an, was ich seit Jahren nicht mehr getan habe! Außerdem bist du doch nicht hergekommen, um über alte Saufereien zu reden. Und falls Sie, Mr. Calverleigh«, fügte sie mit einem weiteren Umschwenken zu Noblesse, jedoch mit einem Zwinkern in ihren scharfen Augen hinzu, »auf der Suche nach einem leichten Mädchen hergekommen sind, dann muß ich Sie warnen. In diesem Etablissement finden Sie keine billigen Dirnen, sondern nur feine junge Damen.«
»Sehr gut so, Dolly!« sagte er beiläufig. »Hast du lange gebraucht, bis du so reden gelernt hast?«
»Heraus damit! Was willst du?« fragte sie und überging diese witzige Bemerkung.
»Genau, was du sagst, natürlich«, antwortete er. »Eine feine junge Dame.«
15
Die Leavenings hatten eine Wohnung in Orange Grove gemietet. Vielleicht keine ideale Lage, gab Mrs. Leavening zu, als Selina sie auf die verschiedenen Nachteile hinwies, aber es war ein schöner, offener Platz, und sie mußte nicht jedesmal, wenn sie die Trinkhalle besuchen oder einen kleinen Einkaufsbummel machen wollte, eine Sänfte herbeirufen. Was das Glockengeläut der Abtei betraf, so zweifelte sie nicht daran, daß sie sich bald daran gewöhnen und es kaum mehr hören würden.
»Nun, meine Liebe«, sagte sie gelassen zu Selina, »wenn man einmal in unser Alter kommt, findet man – wie du ja selbst festgestellt haben wirst – nichts, das genau so ist, wie man es haben will. Wenn man also nur eine Spur vernünftig ist, nimmt man das Beste, das sich bietet.« Dann sagte sie mit einem Kichern: »Mr. Calverleigh wird lachen, wenn er davon hört. Nur weil ich gern vom Fenster aus beobachte, was sich auf der Straße tut, hat er fest behauptet, ich wäre nirgendwo anders glücklich als mitten im Stadtzentrum.«
Abby hatte sich nur aus Höflichkeit für die Pläne der Leavenings interessiert, aber diese Worte berührten sie stark. Sie sagte:
Weitere Kostenlose Bücher