Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
klang derart unsicher, daß Rathanial einen besorgten Blick mit Jeremiel tauschte.
»Bist du sicher?« erkundigte Rathanial sich sanft. Die Lampe in seiner Hand flackerte und warf unsichere Schatten über die braunen Wände.
»Nein. Vielleicht haben wir …«
Jeremiel lehnte sich mit einer Schulter gegen den Stein und rieb sich die Stirn, während er desinteressiert zuhörte, wie die beiden mit leiser Stimme darüber diskutierten, ob sie die richtige Abzweigung bereits verpaßt hatten oder nicht. Der scharfe Duft von Kiefernnadeln haftete noch immer an seinem Sprunganzug und breitete sich jetzt in dem engen Tunnel aus. In den weiter oben gelegenen Höhlen waren sie ein paar Arbeitern begegnet, doch hier unten tauchte niemand auf, obwohl man Fußspuren im dunkelbraunen Sand erkennen konnte.
»Aber meine liebe Sarah, ich war erst einmal hier unten …«
Jeremiel schloß die Augen. Er fühlte sich furchtbar einsam und müde. Der Abgrund des Schreckens in seiner Brust klaffte weiter auf, bis eine traurige, furchterregende Dunkelheit alles wie ein mitternächtlicher Wind zu durchdringen schien. Zadoks Tod bildete einen Teil davon. Jeremiel fragte sich, was die Zukunft noch bereithalten mochte, jetzt, wo der alte Bewahrer von Kraft und Güte von ihnen gegangen war. Seine Gedanken durchstreiften kurz die vergangenen fünfzehn Jahre. Ganz gleich, wie risikoreich seine Ideen auch gewesen waren, sich den Magistraten entgegenzustellen, Zadok hatte ihm stets seine Unterstützung angeboten, sowohl in finanzieller wie in moralischer Hinsicht. Doch jetzt, nach seinem Tod, würde es zu einem internen Machtkampf kommen, und damit saß der Karren für einige Zeit fest. Machthungrige aus seinen eigenen Reihen würden die Köpfe erheben, und mit Sicherheit würde die Regierung ihn jetzt als verwundbar einstufen. Seine Streitkräfte mußten in den nächsten Monaten eine ganze Reihe von Angriffen erwarten. Vielleicht hatte Rudy doch recht gehabt. Er hätte diese ganze Geschichte mit Horeb besser vergessen.
Er verschränkte die Arme und betrachtete stirnrunzelnd das Flackern des Lichts auf den zimtfarbenen Wänden. In letzter Zeit schien er sehr oft die falsche Entscheidung zu treffen. Syene … Syene. Ihr süßer Name marterte ihn.
»Nur noch ein kleines Stück weiter«, sagte Sarah. »Wenn wir es in einer Viertelstunde nicht gefunden haben, kehren wir um.«
»Einverstanden.« Rathanial nickte und zuckte entschuldigend die Achseln in Jeremiels Richtung. Jeremiel wiederholte das Achselzucken und grinste verständnisvoll.
Sie machten sich wieder auf den Weg, und ihre Schritte hallten unheimlich durch den Tunnel. Kurz darauf erreichten sie eine in den Stein gehauene Wendeltreppe, die abwärts führte.
»Ah, du hast recht gehabt«, sagte Rathanial erleichtert und klopfte Rachel auf die Schulter. »Ich hätte nicht darüber streiten sollen.«
»Ist schon gut. Ich war mir selbst nicht sicher.« Sarah führte die anderen jetzt, ohne zu zögern. Immer tiefer ging es hinab, bis sie schließlich einen kleinen runden Raum betraten, in dem lediglich ein Tisch und zwei Stühle standen. Jeremiel zog angesichts der niedrigen Decke den Kopf ein und beäugte die staubigen Weinflaschen in der Nische.
»Was ist das für ein Ort?« fragte er, während er den Staub von seiner schwarzen Hose abklopfte. Es roch nach altem Wachs und trockenem Papier.
Sarah machte ein paar unsichere Schritte vorwärts. Das sanfte Licht fing sich in den gelben Schleifen an ihren Ärmeln. »Das war Papas Sanctum. Hierher kam er, um zu lesen und zu studieren. Es war der einzige Platz, den er für wirklich sicher hielt.« Ihre Stimme erstarb, und sie fuhr mit ihrer zitternden Hand zum Mund.
Jeremiel senkte mitfühlend den Blick. Die Doppelbeerdigung im strömenden Regen an diesem Morgen hatte bei ihnen allen die Gefühle bloßgelegt.
»Sarah«, flüsterte Rathanial, »komm her und setz dich, dann geht es dir gleich besser.«
Sie strich sich die Röcke glatt, ließ sich wie geheißen auf einen der Stühle sinken und stellte ihren Korb auf den Tisch. Jeremiel setzte sich auf den Boden, streckte die langen Beine aus und lehnte sich mit dem Rücken gegen den kalten Stein. Ein eisiger Hauch schien durch die Wand zu dringen und seine Schultern zu berühren.
Rathanial schritt nervös auf und ab. Er hatte eine Hand unter sein bärtiges Kinn gelegt, und seine alten Augen waren von tiefem Kummer erfüllt. Die rubinroten Zierfäden in seiner silbernen Robe glühten dunkel im
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