Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
Kerzenschein.
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Jeremiel, »aber bevor wir anfangen, würde ich dich gern um ein Stück von diesem wunderbar duftenden Brot bitten, Sarah. Weiß du, ich habe seit …«
»Oh, natürlich«, antwortete sie schuldbewußt und schob ihm den ganzen Korb hin. »Ich hatte ganz vergessen, daß ich es überhaupt mitgebracht habe.«
Jeremiel nahm sich eine dicke Scheibe und bot dann Rathanial den Korb an, der jedoch den Kopf schüttelte. Jeremiel stellte den Korb neben sich, biß herzhaft von seinem Brot ab und ließ sich dankbar gegen die Wand sinken.
»Nun«, seufzte Rathanial, »ich schlage vor, wir kümmern uns jetzt ums Geschäft. Niemand hat die Veränderungen erwartet, deren Zeuge wir in den vergangenen Tagen geworden sind, doch zweifellos haben diese Veränderungen ernste Bedeutung für die Zukunft der gamantischen Zivilisation.« Er blickte von Jeremiel zu Sarah und wieder zurück.
Sarah schaute ihn aus großen, angsterfüllten Augen an und spielte nervös mit dem Stoff ihres Rocks. »Was für ein Geschäft?«
»Das Geschäft, die gamantischen Interessen in der ganzen Galaxis zu wahren, meine Liebe.«
»Zum Beispiel?«
»Viele Dinge«, sagte Rathanial. »Zum Beispiel, was wir gegen den Mashiah auf Horeb unternehmen. Wie wir am besten den Einfluß der Magistraten eindämmen. Wie wir Streitigkeiten innerhalb unseres eigenen Volkes beilegen.«
Jeremiel runzelte die Stirn. Hatte Zadok sie über seine Führerschaft so sehr im Dunkeln gelassen, daß sie die vor ihnen liegenden ernsten Herausforderungen gar nicht erkannte? Und was sagte das über das Vertrauen des alten Mannes in seine jüngste Tochter aus?
»Rathanial«, warf er ein und schluckte hastig einen Bissen Brot hinunter, »bevor wir zum ›Geschäft‹ kommen, sollten wir über die letzten paar Tage reden. Wer war der Mann, den du am Raumhafen getötet hast?«
»Ich weiß nicht. Ich habe ihn nie zuvor gesehen.«
»Aber du hast einen Verdacht.«
»Vermutlich war er einer von den gedungenen Mördern des Mashiah.«
»Jener Mashiah, über den du mir geschrieben hast?«
»Genau der.«
»Warum sollte er Zadok töten wollen?«
Rathanial wischte sich die schweißnassen Hände an seiner Robe ab. »Dadurch wird der Weg für ihn frei, sich selbst zum Führer der gamantischen Zivilisation zu erklären. Ich glaube, so hat er das schon seit Monaten geplant.«
»Aber ich dachte, diese Bürde fiele Zadoks jüngerem Bruder zu?«
»Ja, nur haben wir stundenlang versucht, Yosef zu erreichen. Er scheint irgendwo zwischen Tikkun und hier verschwunden zu sein.«
»Verschwunden?«
»Offensichtlich. Er verließ Kayan vor ein paar Tagen, und seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört. Ich fürchte, wir müssen davon ausgehen, daß er tot ist.«
Jeremiel nickte. »Angesichts der letzten Tage erscheint das glaubhaft. Dann geht die Führerschaft jetzt also auf Sarah über?«
»Gesetzmäßigerweise, ja.«
»Nur gesetzmäßig? Nicht auch rechtmäßig?«
Rathanial warf einen Blick auf Sarah, die erschrocken zu ihm aufsah. Sie wirkte wie ein verängstigtes Kind. »Doch, auch rechtmäßigerweise. Nur schrecken mächtige Männer höchst selten vor ein paar schwachen moralischen Einwänden zurück. Adom schert sich nicht um unsere Tradition. Er versucht, einen neuen Zweig der gamantischen Zivilisation zu schaffen.«
»Dann müssen wir sofort eine Wachtruppe für Sarah aufstellen.«
»Ach, was«, sagte Rathanial fest, »Sarah wird hier gut geschützt sein.«
Jeremiels Augenbrauen zogen sich zusammen. »Wie kannst du nach dem, was Zadok und Ezarin widerfahren ist, so sicher sein?«
»Also gut«, gab Rathanial mit sichtlichem Zögern nach. »Wir werden für mehr Wachen sorgen. Wie hört sich das an, meine Liebe? Wirst du dich dann besser fühlen?«
Jeremiels Nackenhaare richteten sich angesichts des ein wenig abfälligen Tonfalls auf. Diese Frau hatte gerade zwei Mitglieder ihrer Familie verloren, und ein drittes teilte vermutlich das gleiche Schicksal. Natürlich würde sie sich mit einer verstärkten Wache sicherer fühlen; sie hatte allen Grund dazu.
»Aber ich verstehe das nicht«, sagte Sarah mit ruhiger Stimme. »Wenn Horebs Mashiah weiß, daß er nicht der nächste in der Linie ist, würde es ihm doch gar nichts nützen, Papa, Ezarin und Onkel Yosef zu töten.«
Jeremiel blinzelte ungläubig. »Ich würde sagen, er plant als nächstes dich und deinen Sohn umzubringen.«
Sie schaute ihn so angsterfüllt an, daß er seinen Blick
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